Kija = Satamun = Nofretete. Eine Bereinigung

 

von Heribert Illig

(Vorab-Version des Zeitensprünge-Artikels aus Nr. 3/2014 (Dezember), eingestellt am 29.08.2014)

Ein „Spiel mit wechselnden Identitäten“ [Dietrich Wildung lt. M.1: 68].

Das Personal von Amarna hat sich immer wieder erweitert, ohne deshalb klarere Konturen zu zeigen. Noch immer ist ein Pharao Semenchkare rätselhaft und kann ein Mann oder eine Frau, vielleicht auch beide nacheinander gewesen sein. Die Pharaonenwitwe, die von den Hethitern einen Gemahl verlangte (Dahamunzu-Affäre), ist immer noch nicht zweifelsfrei ermittelt, wie das von den Abstammungslinien im Königshaus ohnehin gilt.

Kija ist überhaupt erst seit 1959 als einstige Protagonistin von den Ägyptologen bemerkt und erkannt worden. Ein Kosmetikgefäß trug ihren Namen [Reeves, 182 f.]. Seitdem gibt es etliche persönliche, aus Amarna stammende Gegenstände, die ihr zugeordnet werden können. Bald begann man damit, ihr auch Abbildungen zuzuschreiben, wobei man sich an der sog. nubischen Perücke orientierte, die freilich auch andere Personen am Hof getragen haben, aber nur sie fünfstufig abgetreppt [Grimm, 118].

Nun wissen wir von Kija kaum etwas, auch wenn Dorothea Arnold betont: „Wir wissen von Kija eine ganze Menge“ [ZDF]. Ihre Herkunft ist rätselhaft [Schlögl 2008, 87]; sie scheint Gemahlin gewesen, aber nach Echnatons 12. Reg.jahr in Ungnade gefallen zu sein. Dasselbe hat man lange von Nofretete geglaubt: verschwunden nach dem 12. Reg.jahr. Später verfielen beide Frauen der damnatio memoriae, alle Bilder und Inschriften wurden ausgemeißelt [Reeves, 183, 197]. Mittlerweile gilt Nofretetes Leben bis zum 16. Reg.jahr als gesichert und dürfte über den Tod Echnatons hinausgereicht haben, ebenso das der Kija. Vor allem gilt: „Genau so kam sie auch im Tempel vor, als opfernde Königin – allerdings nie zusammen mit Nofretete“ [Arnold lt. ZDF]. Wenn Maciejewski [2, 101] die Kija bei der Geburt Tutanchatons im Kindbett sterben lässt, so scheitert diese Interpretation an dem Umstand, dass die Gestorbene keineswegs erwachsen, sondern wie ein kleines Mädchen dargestellt wird [Abb. s. Ernst 2013, 292 f.]. Hier wird der Tod eines der Königskinder beklagt  [Schlögl 2008, 84 f.], während Kija weiterleben kann. Ihr Titel:

„Kija, die geliebte große Ehefrau des Königs von Ober- und Unterägypten, der von der Wahrheit lebt (Einziger des Re, vollkommen an Erscheinungen, ein Re), das geliebte Kind“ [Habicht 2011, 163].

Aus einer einzigen Darstellung wird ihre familiär-staatspolitische Position abgeleitet: Auf einem Relief stehe sie hinter Echnaton unter den Strahlenhänden Atons, während Nofretete mit zwei ihrer Töchter in Verehrung auf dem Boden liegen [Hornung, 118].

„Dennoch sind beide Damen in ihrem Rang und ihrer Bedeutung am Hof Echnatons eindeutig zu unterscheiden. Dies nicht nur durch ihre Titel, sondern auch durch Position und Rolle. Nofretete war die „Große königliche Gemahlin“ Echnatons, wohingegen Kija den ungewöhnlichen Titel „Große geliebte Frau des Königs“ trug, aber auch als „die Dame“ oder „hohe Dame“ bezeichnet wird. Echnaton erhob sie dadurch zwar über alle anderen Haremsdamen, jedoch erhielt sie, im Gegensatz zu Nofretete, keine religiösen Aufgaben. Ein weiterer Unterschied findet sich in den Darstellungen der beiden: Während Nofretetes Name in einer Kartusche geschrieben und sie mit Krone und königlicher Uräusschlange dargestellt wird, gibt es keine Abbildungen, die Kija mit diesen königlichen Attributen zeigen. Ferner zeigen alle Abbildungen Kija stets mit nur einer Tochter, und nicht wie bei Nofretete mit allen Töchtern“ [wiki / Kija gemäß Hornung, 117].

Trotzdem verwechseln die Ägyptologen die beiden Frauen laufend.

„Besondere Bedeutung hatte die Entdeckung, daß viele Belege, die früher als Anzeichen einer ungünstigen Wende in Nofretetes Schicksal gegolten hatten – die Tilgungen und Palimpseste auf Blöcken des Nordpalastes, in Maru-Aton und in Hermopolis –, sich in Wirklichkeit nicht auf Aufstieg und Fall der großen königlichen Gemahlin Echnatons, sondern auf dessen »andere Frau« beziehen“ [Reeves, 182].

Ab da entstanden Kontrastbilder. Während Nofretete von ihrer idealisierten Büste her zur kühlen, hochmütigen Schönheit stilisiert wurde, wurde Kija als hübsch und von „offener, einnehmender Art“ gesehen, die aber hinter dieser Fassade „einen grausamen und egoistischen Charakter“ besaß. Das geht soweit, dass sie als der „böse Geist“ von Amarna gesehen wird [Reeves, 183]. Dieser Autor sieht ohnehin in Amarna ein reines Terrorregime [ebd. 176 f., 183], das gleich mit dem Umzug nach Amarna im 8. Reg.jahr begann [ebd. 134] und mit Kija seine geistige Mutter erhält. Sie habe schon vor dem 8. Reg.jahr dort ein Gut besessen und ist bis zum 12. Reg.jahr belegt. Ihren Sarg habe man im rätselhaften Grab KV 55 gefunden [ebd. 183]. Doch dem ist bereits Alfred Grimm [117 f.; Grimms Kursivierung] entgegengetreten, der zunächst die offizielle Titulatur bringt:

„Gemahlin (und) Große Geliebte des Königs von Ober- und Unterägypten, der von der Wahrheit lebt, Echnaton, das vollendete Kind des lebenden Aton, von dem gilt: Er wird leben jetzt und immerdar bis in alle Ewigkeit, Kija.
Diese lange Titulatur der Kija enthält Echnatons »Sargformel« Das vollendete Kind des lebenden Aton, von dem gilt: Er wird leben jetzt und immerdar bis in alle Ewigkeit, was dann fälschlicherweise als Hinweis auf Kija als Erstbesitzerin des Sarges aus »KV 55« interpretiert worden ist.“

Ebenso hat man die Mumie Younger Lady aus KV 35 als Kija sehen wollen, doch sieht man mittlerweile die von Nofretete [vgl. Ernst 2013, 294]. Nichts könnte besser verdeutlichen, wie die beiden Damen ineinander überzugehen scheinen.

Kija rückte an so manche Stelle, die ursprünglich für Nofretete reserviert war. So gibt es ein bewegendes Liebesgedicht. Es war an Echnaton gerichtet und deshalb auf dem Fußteil seines Goldsarges eingelassen. Nur weil der Sarg dann wohl für das Begräbnis von Semenchkare umgearbeitet worden ist, blieb er erhalten. Dieses Gedicht wurde von Alan Gardiner der Nofretete zugeschrieben [vgl. Grimm, 113 f.], doch von Schlögl [2008, 89] der Kija. Wenn dieser Autor an gleicher Stelle davon schreibt, Kija habe „eine immer wichtigere Rolle in Amarna gespielt“, so ist diese gleichwohl nicht fassbar.

Reeves [180 f.] wie Habicht [26] stellen einen Nofretete-Kopf in Kontrast zu einem Quarzitköpfchen der Kija, eine ihrer wenigen plastischen Darstellungen. Für Habicht ist Kija anders als Nofretete „eine Frau mit weichen, sinnlichen Zügen“ [ebd.]. Gleichwohl ist zu betonen: Augenbrauenbögen, Augenform und Nase entsprechen den  Zügen Nofretetes. Nachdem mittlerweile nachgewiesen ist, dass die berühmte Büste eine spezielle Idealisierung darstellt (schon der Kalkstein unter dem Gipsüberzug zeigt ältere Züge), ließe sich aus einer Kija ohne Babyspeck und übervolleen Lippen leicht eine ‘ideale’ Nofretete formen. Ähnliche Effekte hat bereits der Museumsfotograf Jürgen Liepe bei Bildnissen der Nofretete allein durch unterschiedliche Beleuchtung und Perspektive zeigen können [ZDF].

Es ist in Amarna offensichtlich so gewesen, dass Namen und Titulaturen ein ganz besonderes Gewicht zugemessen worden ist, hat doch Echnaton immer wieder an seinen eigenen Titeln wie an dem von Aton geschliffen. Dementsprechend ist gut vorstellbar, dass z.B. im Privatbereich Nofretete andere Bezeichnungen trug als im offiziellen Leben. Deshalb wird nach Sichtung der Umstände hier zunächst diese These vertreten: Nofretete = Kija.

Franz Maciejewskis Gleichsetzung

Nun gibt es bereits zwei andere Gleichsetzungen, die eigentlich nur zusammengeführt werden müssen. Maciejewski kann sich die Gleichsetzung von Kija und Satamun vorstellen, wobei er darauf anspielt, dass der Name Kija damals wie Kije ausgesprochen worden sei: Es

„wäre sofort an Satamun zu denken. Wie wir hörten, hat sie als Grabbeigabe für ihre verstorbenen Großeltern zwei wertvolle Sessel gestiftet, ein deutliches Zeichen einer besonderen Verbundenheit. Bei Satamun könnte es sich also um jene Lieblingsenkelin gehandelt haben, die den Kosenamen Kije erhielt. Dass sie ihren alten Eigennamen »Tochter des Amun« in Amarna nicht behalten konnte, versteht sich von selbst. Ähnlich könnte es sich mit dem Titel einer Großen Königlichen Gemahlin verhalten. Wird er Kija vorenthalten, weil Satamun ihn bereits trug, freilich als Gemahlin ihres Vaters, so dass es in Amarna nicht länger opportun erschien, ihn zu tragen? Dann wäre mit »Große Geliebte des Königs« die Ersatzformel gefunden worden, unter der Satamun alias Kije ihre zweite Karriere beginnen konnte“ [M.1: 115].

Das ließe sich auch dahingehend interpretieren, dass es nun sowohl eine Kija wie eine Kije gegeben habe. Da aber Maciejewski damit  fortfährt, von den vielen Darstellungen der Kija und ihrer zarten, sanften Schönheit zu berichten [ebd. 115 f.], ist, geht es tatsächlich um die Gleichsetzung von Satamun und Kija. Konsequent sieht er die Mumie KV 35 YL als die von Satamun = Kija [ebd. 115 f.]. Da diese Mumie bereits von Marianne Luban und vor allem von Joann Fletcher der Nofretete zugeschrieben wird [vgl. Ernst 2014, 456], hätte sich der Kreis geschlossen.

Allerdings hat Habicht [2012, 25] eingewendet, dass die Gleichsetzung Satamun = Kija eine „unvorstellbare Statusverschlechterung“ für Satamun bedeutet hätte, wäre sie doch von einer Großen Königlichen Gemahlin zur Großen Geliebten abgesunken.

Diese Gleichsetzung wollte Ernst [2013, 288] so nicht stehen lassen, weil Kija, „wenn sie ebenfalls dem Königshaus entstammt, eher eine bedeutend jüngere Schwester Echnatons und Nofretetes gewesen sein“ müsste. Er hat sich dadurch den Weg zur großen Identitätsgleichung verbaut.

Otto Ernsts Gleichsetzung

Im letzten Jahr hat Ernst die Gleichsetzung Satamun = Nofretete vorbereitet und mittlerweile verankert [Ernst 2013, 287 f.; 2014]. Satamun als eine der Töchter Amenophis’ III., von ihm auch geheiratet, verschwindet wohl mit dem Tod ihres Vaters/Gatten irgendwann bei Hofe, während Nofretete ab dem 4. Reg.jahr Amenophis IV. auftritt.

Habicht [2012, 25] spricht davon, dass die Younger Lady die Mumie Nofretetes darstelle und Amenophis IV. eine seiner Schwestern geheiratet habe, die dann den Namen Nofretete angenommen hat [vgl. Ernst 2014, 456, 458]. Diese Schwester, die nun Nofretete hieß, kann aber, so Otto Ernst [2014, 458], „nur Satamun gewesen sein, weil diese auch die Erbprinzessin war.“ In der Folge erläutert er, wie die Erhebung zum Pharao davon abhing, die älteste Tochter des bis dahin amtierenden Pharaos und seiner Großen Königlichen Gemahlin geheiratet zu haben. So bestand das Pharaonen-Paar üblicherweise aus Geschwistern oder Halbgeschwistern [ebd.].

Ernst [2013, 286] vertritt aus diesem Grund: Satamun = Nofretete. Er tut dies im Bewusstsein, dass Nofretete somit eine Tochter Amenophis’ III. ist und damit aus dem Königshaus stammt, nicht aus dem von Maciejewski kreierten „Haus Juja“ stammt.

Die Zusammenführung

Diese drei so unterschiedlich gewonnenen Gleichsetzungen lassen sich problemlos zu der ‘Trinität’ Nofretete = Satamun = Kija ergänzen. Das „problemlos“ bezieht sich darauf, dass ja Habicht für Satamun dadurch eine „unvorstellbare Statusverschlechterung“ eintreten sieht. Doch der scheinbare Widerspruch entfällt, weil die Tochter Satamun nicht zur Geliebten absinkt, sondern zur amtierenden Pharaonin aufsteigt. Die „große Geliebte“ scheint in Amarna, das sehr weitschweifige Titulaturen liebte und immer wieder veränderte, eine eher private Benennung gewesen zu sein.

Mit diesem Entfernen fiktiver Personen klärt sich einiges. Nach Ausscheiden von Satamun und Kija bleibt für Amarna das Aton-bezogene Dreigestirn Echnaton – Nofretete – Teje, also Ehemann mit seinen beiden Frauen (wenn die Gleichsetzung Amenophis III. = Echnaton [Illig 2014] Bestand hat, dann gibt es hier keinen Mutter/Sohn-Inzest, sondern ‘nur’ einen Vater/Tochter-Inzest).

Hier lässt sich etwas ergänzen. Ernst betont die Federhaube der Teje als Machtzugewinn gegenüber Nofretete, die sie nicht mehr trägt oder tragen darf. Aber das berühmte, keine 11 cm messende Holzköpfchen der Teje belegt etwas anderes. Es war ursprünglich mit einer Silberhaube bedeckt, die aber nicht einfach abgenommen, sondern mit einer glasperlenverzierten, dunklen Perücke verdeckt worden ist, zu der die aufgestellten Federn gehörten. Nun war die ursprüngliche Haube mit zwei silbernen Uräusschlangen bestückt, die die Trägerin als Pharaonin auswiesen; Ernst [2014, 465] hebt gerade diesen Umstand hervor. Aus hier vorgetragener Sicht stünde die Federhaube nicht für Machtgewinn, sondern für den Machtverlust Tejes gegenüber der jüngeren Frau: Nofretete.

Ist Tutanchamun ein Kind von Nofretete?

Nach den vorliegenden aDNA-Ergebnissen, die keine Identitäten erbringen, sondern verwandtschaftliche Bezüge, ist Tutanchamun der Sohn eines Geschwisterpaares. Das lässt sich bislang nicht unterbringen. Nun aber können die Geschwister Nofretete und Echnaton tatsächlich seine Eltern sein. Wie steht es um diesen Sohn?

Man muss davon ausgehen, dass der Junge früh körperlich, viel leicht auch geistig zerrüttet war. Am Knochengerüst eine leichte Skoliose, weitere Knochenkrankheiten, nämlich Knochennekrose am linken Fuß (Morbus Köhler-Albau Typ II) und miteinander verschmolzene Halswirbel (Klippel-Feil-Syndrom). Hinzu traten als weitere Missbildungen eine Gaumenspalte und links ein Klumpfuß, der das Abrollen des Fußes schwer behindert und zu Schonhinken führt. Der Pharao konnte offenbar nur mit Hilfsmitteln laufen, fanden sich doch in seinem Grab 130 Gehstöcke. Die Mumie weist außerdem vier Brüche auf: am linken Bein – ein Oberschenkelbruch und ein Bruch des linken unteren Oberschenkels (gemeint ist vielleicht der linke Unterschenkel), am rechten Unterschenkel und einer der rechten Kniescheibe [wiki / Tutanchamun]. Es braucht bei ihm keinen Unfall mit rasendem Streitwagen, denn dieses marode Knochengerüst kann schon bei einem Treppensturz dermaßen zugerichtet worden sein.

Weiter gibt es Hinweise auf Malaria tropica, die schwerste Form der Malaria, und auf eine Sichelzellanämie, ein Gendefekt, der zu irregulärem Hämoglobin und im Weiteren zu Organinfarkten führen kann. „Er war ein wirklich armer Kerl“, sagte der an der Autopsie beteiligte Mumienforscher Carsten Pusch [nano].

Nicht untersucht werden kann sein beim Mumifizieren entferntes Gehirn. Nachdem bei Inzucht geistiges Zurückbleiben auftreten kann, wäre es denkbar, dass ein körperlich wie geistig behinderter Tutanchamun von seinen Eltern nie als Thronfolger gesehen worden ist. Insofern könnte er trotz anders lautender Nachrichten ein Sohn von Nofretete gewesen sein, den selbst sie aber nicht als potentiellen Thronfolger sah. Damit könnte Nofretete trotz allem als handelnde Pharaonin in der sog. Dahamunzu-Affäre gesehen werden. Sie hätte dann tatsächlich keinen amtsfähigen Sohn gehabt. Auch nach Echnatons Tod ist nicht Tutanchaton auf den Thron gehoben worden, sondern Semenchkare, wobei offen bleiben kann, ob erst Nofretete und dann Semenchkare, der denselben Thronnamen trug, zum Pharao aufgestiegen ist. Erst nach Semenchkare musste auf den 8 bis 9 Jahre alten Tutanchamun als Thronanwärter zurückgegriffen werden. Ihm dürfte während seiner neun Regierungsjahre immer Aja als Regent zur Seite gestanden sein.

Als die Briefe zu den Hethitern entdeckt wurde, wurde der Prinz ermordet und Nofretete jene schweren Verletzungen zugefügt, die  das Gesicht der Younger Lady verunstalten. Die Gattin Tutanachamuns scheidet aus, weil ihn Eje nach 70 Tagen bestattet hat, die beiden Briefe und die Reises von Prinz Dahamunzu aber viel länger gedauert hätten [M.1, 61].

Ein Identitätsbeweis über Baketaton

Bereinigungen: Wir nehmen eine Passage aus Wikipedia [/ Beketaton; die dortigen Fußnoten sind in die Zitationen der Zeitensprünge transformiert]:

„Die naheliegendste Schlussfolgerung dieser Darstellungen ist deshalb, Baketaton als eine Tochter von Amenophis III. und Teje zu sehen [Dodson/Hilton, 154]. Diese These wird unter anderem von den Ägyptologen Cyril Aldred [109] und Christiane Desroches Noblecourt [154 f.] vertreten.
Marc Gabolde [1992] hingegen sieht Baketaton als eine Tochter Echnatons und dessen großer Geliebten Kija. Die Beziehung von Teje zu Baketaton sei deswegen eher das von einer Königin zu ihrer Enkelin gewesen [Grimm/Schoske, 21].
Nicholas Reeves schließlich führt zwei weitere Varianten zur Elternschaft an: Diese geheimnisvolle Prinzessin könnte einerseits die Königstochter Sitamun gewesen sein, die in der Amarna-Zeit einen für diese Zeit angepassten Namen angenommen hatte. Andererseits könnte Baketaton aber auch eine Tochter Amenophis III. und Sitamuns gewesen sein [Reeves, 70].“

Alle derartige Überlegungen erledigen sich mit der Gleichsetzung vollständig und restlos.

Habicht [25 f.] verweist darauf, dass laut einer von Gabolde rekonstruierten Inschrift Echnaton und Nofretete die Eltern Tutanchamuns seien. Das wäre damit erfüllt, steht allerdings in Widerspruch zu anderen Inschriften, wonach Nofretete ‘nur’ sechs Töchter, aber keinen Sohn geboren habe. Diesen Widerspruch konnte bislang niemand auflösen.

Stehen andere Mumienbefunde dazu quer? Ihnen zufolge wären die Eltern von Tutanchamun die als Echnaton und Nofretete gesehenen Mumien, die aber von denselben Eltern stammen müssten [Habicht, 24]. Das wäre erfüllt, wenn Satamun als Tochter von Amenophis III. in Wahrheit Nofretete wäre. Und wenn Maciejewski die Younger Lady als Kija identifizieren möchte [Habicht, 25], dann wäre das nur konsequent und ebenfalls richtig. So wird Nofretete zur Hauptkandidatin für die sog. Dahamunzu-Affäre, wie sie oben kurz umrissen worden ist.

Literatur

Dodson, Aidan / Hilton, Dyan (2004): The Complete Royal Families of Ancient Egypt; Thames & Hudson, London
Desroches-Noblecourt, Christiane (1963): Leben und Tod eines Pharao. Tut-ench-Amun; Ullstein, Berlin u. a.
Ernst, Otto (2014): Von Satamun zu Nofretete. Aufstieg und Ende einer Pharaonentochter; Zeitensprünge 26 (2) 201-215
– (2013): Echnaton und Nofretete. Tutanchamuns mögliche Eltern; Zeitensprünge 25 (2) 285-296
Gabolde, Marc (1992): Baketaton fille de Kiya? Bulletin de la Société d’Égyptologie de Genève. Bd. 16, 27–40
Grimm, Alfred / Schoske, Sylvia (2001): Das Geheimnis des Goldenen Sarges. Echnaton und das Ende der Amarnazeit; München
Habicht, Michael E. (2012): Das Geheimnis der Amarna-Mumien · DNA-Untersuchungen klären Verwandtschaftsverhältnisse auf; Antike Welt 6/2012, 23-28
– (2011): Nofretete und Echnaton. Das Geheimnis der Amarna-Mumien; Koehler & Amelang, Leipzig
Hornung, Erik (2003): Echnaton. Die Religion des Lichts; Patmos, Düsseldorf
Illig, Heribert (2014): Amenophis III. = IV. Echnaton. Neues Licht auf Amarna und den Aton-Kult; Zeitensprünge 26 (3) i.V., bislang Internet
nano (2010): „Ein armer Kerl“. Forscher ergründen Herkunft Tutanchamuns. 3300 Jahre nach dem Tod von Tutanchamun haben Forscher entdeckt, dass sein Vater der Pharao Echnaton war; TV-Sendung 3sat/nano, 17. 02. http://www.3sat.de/page/?source=/nano/gesellschaft/142016/index.html
Schlögl, Hermann (2012): Nofretete· Die Wahrheit über die schöne Königin; Beck, München
– (2008): Echnaton; Beck, München
wiki = http://de.wikipedia.org/wiki/  => Artikelüberschrift

Dr. Heribert Illig (mantisillig@gmx.de)

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Amenophis III. = IV. Echnaton. Neues Licht auf Amarna und den Aton-Kult

 

von Heribert Illig

(Vorab-Version des Zeitensprünge-Artikels aus Nr. 3/2014 (Dezember), eingestellt am 28.08.2014)

Echnaton und Amarna – diese Begriffe finden unverändert Aufmerksamkeit, zumal sie immer neue, ungelöste Rätsel bescheren. Seit die zugehörigen Mumien DNA-Analysen zugänglich sind, steigen die Erwartungen. Es ist an der Zeit, innezuhalten und an den aktuellen Werken zum Thema – von Michael Habicht, Franz Maciejewski, Nicholas Reeves und Hermann Schlögl – zu prüfen, welches Wissen als gesichert gelten kann. Als Prüfkriterium wird eine These verwendet, wie sie bislang nicht existiert hat.

Unter den Ramessiden wurden sämtliche Amarna-Pharaonen gestrichen – „Zeit, «die es nie gegeben hat»“ [Schlögl 2008, 104] – in diesem Beitrag wird versucht, dieser Zeit wieder Realität zu geben, diesmal, indem zwei ihrer Pharaonen miteinander verschmolzen werden.

Die Identität von Amenophis III. und Amenophis IV.

Dafür wird hier erstmals die These formuliert: Echnaton ist nicht der Sohn von Amenophis III., er ist Amenophis III. selbst, der nicht nach dem 38. Reg.jahr stirbt, sondern nunmehr seinem Aton-Glauben Raum gibt und deshalb unter seinem neuen Aton-Namen regiert. Um diese These zu bekräftigen, werden zunächst die Wurzeln des Aton-Kults gezeigt, dann ein Hinweis auf den Charakter der neuen Religion gegeben, das Zusammenspiel beider Lebenszeiten untersucht und eine Chronologie unter Berücksichtigung einer möglichen Koregenz erstellt. Weiter werden Pro und Kontra der These erörtert.

Aton-Kult

Je stärker die religiöse Revolution betont wird, desto widersprüchlicher werden die Interpretationen: Ging es um Monotheismus, um Monolatrie, um den ersten Gottesstaat? Dazu einige Eckpunkte:

11. Dyn., Mentuhotep II.: Erstmals tritt „der Name Aton für die Bezeichnung der Sonnenscheibe als Gottheit und als Erscheinungsform des Re auf. Insofern wurde die Sonnenscheibe in ihrer Eigenschaft als Himmelskörper und in Gleichsetzung mit Re als „Thron des Re“ verstanden. Es folgten weitere Beinamen des Re, die den Sonnengott mit der Sonnenscheibe vergleichen: Re, „der in seiner Scheibe ist“. [Schlögl 2008, 27]

12. Dyn., Amenemhet I.: In der Geschichte des Sinuhe vereinigt sich der Pharao mit seinem Schöpfer Aton [Selket].

13. Dyn., Hor: Königsstele; „ihm gehört, was Aton umkreist“ [Selket]. Hier dürfte nicht von einem prädynastischen König die Rede sein (Nu-Hor oder Iri-Hor), sondern von einem Hor aus der 13. Dyn.

18. Dyn., Ahmose: Auf einer Stele wird der Pharao mit Aton verglichen [Selket].
Amenophis I. vereinigt sich im Tod mit Aton [Selket].
Thutmosis III. lässt Gedenkskarabäen fertigen, auf denen er Fremdländer besiegt, „um sie zu Aton zu führen in Ewigkeit“ [Selket] oder auf denen Ausländer „für immer Untertanen der Herrschaft des Atons“ bleiben [Reeves, 56].
Amenophis III. baut in Heliopolis den ersten Tempel für Aton und setzt Priester ein. Nach Verlegung der Hauptstadt von Memphis nach Malkatta (Theben-West) nennt er seinen Palast „Glanz des Aton“, später auch Per-Hay, „Haus der Frohlockung“ (wie später Echnaton den großen Tempel von Amarna). Auch die Barke für seine Gemahlin Teje benennt er „Glanz des Aton“. Er selbst schmückt sich mit dem Beinamen Aton-Tjehen „Leuchtender Aton“ [Selket].
Amenophis IV. = Echnaton verwendet den Gottesnamen Aton ab seinem 5. Reg.jahr. Neu bei ihm ist, dass die anderen Gottheiten weit zurücktreten müssen, doch ihr gänzlicher Ausschluss ist heute nicht mehr zu halten. Er lässt aber auch den Gottesnamen in Kartuschen schreiben, als wäre der Gott zugleich Pharao.

Nach heutiger ägyptologischer Sicht wurde Aton nur von Echnaton und Nofretete verehrt; das Volk verehrte das Königspaar [Ernst 2005, 515]. Weitere Mittler zwischen Gott und Volk gab es nicht, da die Aton-Priester nur unterstützende Funktion hatten [Selket]. Es werden Formulierungen gebraucht, die fast christlich anmuten wie: „In seinen Namen Re, der Vater, der gekommen ist als Aton“ [Selket].

Die Lebensalter von Amenophis III. und IV. (= Echnaton)

Beide Pharaonen kamen sehr früh, vielleicht noch als Kind an die Regierung. Das wirft Probleme auf, die nicht immer beachtet werden.

Da Amenophis III. kein Revoluzzer ist, stört es weniger, dass er bei Tod  des Vaters, Thutmosis III., erst „etwa acht Jahre alt“ ist [M.1: 135; Aldred, 46] oder 12 Jahre [Schlögl 2008, 8], laut engl. Wikipedia zwischen sechs und zwölf Jahren. Deshalb wird auch die Hochzeit mit Teje bei Regierungsantritt [M.1: 101] nicht hinterfragt. Dabei war seine Gattin „wahrscheinlich nicht mehr als zwei oder drei Jahre alt“ [Aldred lt. M.1: 101], vielleicht wurde sie bereits im zweiten Lebensjahr gefreit [Schneider, 62]. Velikovsky [71] hat darauf hingewiesen, Karl Abraham habe 1912 ein Alter von zehn Jahren aus einer – falsch zugewiesenen – Mumie Amenophis’ III. abgeleitet; seitdem werde dieses Alter verfochten.

Cyril Aldred kalkuliert das Alter Amenophis’ III. so: Sein Vater kam selbst bereits im Alter von 15 oder 16 Jahren auf den Thron. Vorher konnte er noch kein Harem haben; regiert hat er aber nur 9 Jahre. Der Mumie Amenophis’ III. wird eine Lebenszeit „von etwa 50 Jahren“ attestiert [Habicht 2012, 24], woraus sich ein Krönungsalter von 13 Jahren ableiten ließe. Die verschiedenen Mutmaßungen zusammengefasst, war der frisch Inthronisierte zwischen 6 und 13 Jahre alt, seine Frau kaum den Windeln entwachsen

So war er in den Anfangsjahren wohl nicht selbst in der Lage, Kriegszüge zu befehligen oder kluge Diplomatie zu treiben, auch nicht als der große Bauherr hervorzutreten, der er war (nur von Ramses II. übertroffen). Er scheint also gute Berater gehabt zu haben, vielleicht auch in Gestalt seiner Mutter Mutemwia. Sie ist unbekannter Herkunft und den Königinnen Nefertari und Iaret nachrangig, gewinnt aber nach dem Tod Thutmosis III. als Pharaos Mutter an Macht und Einfluss [Tyldesley, 114].

Echnatons Krönungsalter ist für die Amarna-Problematik ungleich wichtiger. Auch bei ihm ist es vage, zumal man ihm abwechselnd eine Mumie zuschreibt oder abspricht. Für Maciejewski [1: 62] ist er nicht einmal 30 Jahre alt geworden, woraus sich ein Krönungsalter von höchstens 12 oder 13 Jahren errechnet, von ihm selbst präzisiert auf 10 Jahre [M.1: 196] oder relativiert auf „10 (vielleicht 12) Jahre“ [M.2: 19]. Laut Gabolde war er bei der Thronbesteigung „höchstens 9 oder 10 Jahre alt“ [M.1: 80]. Oder noch jünger: „Acht Jahre lang lebte Amenophis als Kronprinz in Malkatta […] und blieb trotzdem ein nobody“ [M.1: 200]. Das schließt man auch daraus, dass er bei keinem der drei Sed-Feste seines Vaters (im 30., 34. und 37. Reg.jahr) in Erscheinung trat [M.1: 201 f.].

Letztlich sind auch diese Altersangaben an einer ihm zugeschriebenen Mumie gewonnen. Orientiert man sich an einer anderen Mumie, dann wäre er um die 60 Jahre alt geworden [M.1: 80], weshalb diese Mumie lieber Aja zugewiesen wird. Thomas Schneider [66-71] schweigt über das Krönungsalter, wie er ihm auch keine Mumie zuordnet. Im zugehörigen Wikipedia-Artikel ist hingegen von einem geschätzten „Alter von 18 bis 22 Jahren“ die Rede. Es leitet sich ab von Habicht [2011, 34] und somit erneut von einer  Mumien-Untersuchung. Schlögl [2008, 117] hat die 18 Jahre vielleicht vorgegeben. Pauschal gerechnet hätte Echnaton den Thron zwischen 8. und 22. Jahr bestiegen. Das ist eine enorme und entscheidende Diskrepanz, lässt sich doch eine Religionsrevolution nicht von einem 13-Jährigen, möglicherweise aber von einem 22-Jährigen erwarten. Allerdings landet die Forschung hier in einer Zwickmühle: Je älter der Revolutionär bei der Thronbesteigung ist, desto länger würde die Zeit, die er ohne erkennbares Lebenszeichen [M.1: 198] in seiner nicht lokalisierten ‘Isolierstation’ verbracht hätte; Velikovsky [55] sah sie gar „in der Fremde“.

Die eigentliche Revolution wird laut einer der Grenzstellen im vierten Monat des 5. Reg.jahres proklamiert, indem die fünf Namen Amenophis’ IV. auf Gott Aton umgestellt werden [M.1: 196, 321], kurz darauf der Plan für den Bau von Amarna (Achetaton) bekanntgegeben wird und dort die ersten der Grenzstelen errichtet werden. Das führt uns zur Frage einer gemeinsamen Regierungszeit von Vater und Sohn.

Koregenz

John Pendlebury († 1941) argumentierte für eine Koregenz von 11 Jahren für Amenophis III. und IV. Seine Argumente wurden von Wolfgang Helck, Erik Hornung und Marc Gabolde so widerlegt, dass dieses Thema ausgestanden schien [Schlögl 2008, 22]. Doch 1996 brach Raymond Johnson [Reeves, 88-90], eine neue Lanze für eine lange gemeinsame Regierung von Vater und Sohn, wobei er nicht von einer handlungslosen Zeit für den späteren Echnaton ausgeht, sondern dessen Regierungszeit bereits im 29., nicht erst im 38./39. Reg.jahr des Vaters beginnen lässt. Die Gründung von Amarna und der Namenswechsel hin zu Echnaton hätte bereits im 34. Reg.jahr stattgefunden [Reeves, 89 f.]. Das würde eine Kürzung der Gesamtregierungszeit beider Pharaonen um ca. 9 Jahre bedeuten. Reeves [90 f.] selbst plädiert für eine nur „kurze gemeinsame Regierungszeit“, die bei 2 Jahren zu liegen scheint. Die Begründungen laufen über Stilvergleich, nachdem es mit gemeinsamen Auftritten schlecht aussieht. Für Reeves ist nur eine

„Szene am dritten Pylon in Karnak mit der Darstellung einer größeren und einer kleineren Figur Amenophis’ III. und eines zweiten, ausgemeißelten Königs zu nennen. Es gab verschiedene Erklärungen für diese Figuren, doch aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir eine Darstellung des Seniorkönigs und seines Sohnes und Koregenten Amenophis IV. vor uns“ [Reeves, 89].

Dieses Argument ‘ex silentio’ hat nicht alle überzeugt. Maciejewski spricht 2010 abfällig von einer „Phantomdebatte von gestern“ [M.1: 200], sieht „ägyptologisches Phantasma“ oder erkennt allenfalls eine „Koregenz zwischen Gott  und Pharao“ [M.1: 211]. Wenn der Kronprinz von drei  Sed-Festen ausgeschlossen bleibt [M.1: 201 f.], dann ist das für den Psychoanalytiker Missachtung durch den Vater, der der Missbrauch durch die Mutter folgt [M.1: 203]. Für Velikovsky [1966, 54] war von vorn herein klar, dass sein Ansatz nur ohne Koregenz greift: Der junge Echnaton/Ödipus darf seinen Vater nicht kennen, dessen Ansehen er so früh wie möglich ausradieren möchte. Inzwischen haben andere darauf hingewiesen, dass nur der Namensbestandteil „Amun“ ausgemeißelt worden ist, nicht der gesamte Name Amenophis. Also doch kein Vatermord? Eine Meldung vom Februar dieses Jahres lässt aufhorchen: Im Grab des Wesirs Amenhotep-Juja gebe es Belege für eine mindestens achtjährige Koregenz (s.u.). Bekommt Echnaton dadurch eine ‘Regierungs-Vorlaufzeit’ von mindestens acht Jahren, wird Achet-Aton noch zu Lebzeiten von Amenophis III. gegründet? Das lässt sich vielleicht mit den Sed-Festen beantworten.

Sed-Feste

Einigermaßen rätselhaft ist das frühe Sed-Fest, das Echnaton bereits in seinem 4. Reg.jahr feiern lässt [M.1: 95], dient dieses Fest doch der Erneuerung der nachlassenden Kraft des Potentaten. Die meisten Pharaonen begingen es erst zum 30. Reg.jahr, genau so wie Amenophis III., der dann auch das 34. und 37. Jahr feierlich beging. Echnatons Fest scheint ein weiteres Glied in der Kette von Festen seines Vaters zu sein. Wenn man die Anfangsjahre Echnatons aber noch in der Regierungszeit seines Vaters unterbringen will, hätte Echnaton zwischen dem ersten und zweiten Sed-Fest seines Vaters das eigene gefeiert – ebenso unwahrscheinlich wie unlogisch. Andererseits beschäftigte sich Amenophis III. bereits mit der Durchführung seines vierten Sed-Fest [Reeves, 83]. Hat es Echnaton ihm zuliebe posthum begangen?

Will man das vierte Sed-Fest in Reihe mit den früheren bringen, dann fiele es in das 40. Reg.jahr Amenophis’ III. und in das 2. Echnatons. Will man hingegen die Entscheidung für den großen Aton-Kult im Jahr nach dem Tod Amenophis’ III. sehen, würde das vierte Sed-Fest in das 38. Reg.jahr und damit in sein Sterbejahr rücken.

Aus Sicht des Verfassers kann es keine Koregenz gegeben haben, weil ein Pharao nicht mit sich selbst regieren kann. Ein Ineinanderschieben beider Regierungszeiten ist dadurch aber nicht ausgeschlossen.

Wandernde Residenzen

Amenophis III. hat sich vor seinem ersten Sed-Fest von der Hauptstadt Memphis abgewendet und bei Theben auf dem Westufer seine Hauptresidenz erbaut, heute Malkatta oder Malqata genannt, damals Per-Haij. Bereits bei  ihrer Gründung im 11. Reg.jahr hieß sie „Haus des Nebmaatre, Herrlichkeit  des Aton“ [M.1: 199] respektive Thn-Jtn (Tjehen-Aton): „Glanz des Aton“ [LdÄ / Theben]. Das wird allerdings von Maciejewski nicht weiter gewichtet. Die Bauzeit wird vom 11. bis zum 29. Reg.jahr angesetzt [wiki / Malqata], was viel zu lang erscheint, lässt doch Echnaton sein Achet-Aton (Amarna) mit ungleich größeren Gebäudeensembles binnen dreier Jahre hochziehen. Er hat den ‘Startschuss’ in seinem 5. Reg.jahr gegeben; der Umzug erfolgte im 8. Reg.jahr.

Nach Echnatons Tod (im 17./18. Reg.jahr) und dem rätselhaften Intermezzo mit vielleicht Nofretete und Semenchkare als Herrschern wird im 2. Reg.jahr des ca. 9 Jahre alten Tutanchamun, also wohl auf Befehl seines Vormunds Aja, die Residenz nicht nach Theben, sondern nach Memphis zurückverlegt [M.2: 159]. Nun steht die Göttertrias Amun von Theben, Re-Harachte von Heliopolis und Ptah von Memphis in der Verehrung ganz oben [M.1: 266].

Herkömmliche Chronologie der Aton-Verehrung

(Reg.jahre für Amenophis III. links durchgezählt, rechts für Echnaton)

Manetho nennt für Amenophis III. 38 Jahre, 7 Monate; Krugaufschriften laufen bis zum Ende des Jahres 38. Er wird keine Koregenz mit seinem Vater Thutmosis IV. gesehen, da der noch jung überraschend stirbt, als der Kronprinz höchstens 10 Jahre alt ist. Die Angaben sind fast nie als unumstößliche Jahreszahlen zu werten; dazu variieren sie zu sehr innerhalb der Literatur. Eine von vielen Datierungen für das Absolutjahr der Thronbesteigung ist -1379 [M.1 passim; Schneider, 61-71; wiki / Amenophis III., IV.].

1 Thronbesteigung mit 8 Jahren.
2 Kinder-Heirat mit Teje (?); Baubeginn seines Grabes und von Tempeln, später großdimensionierte Plastik, darunter die größte altägyptische Statue mit 21 m und die Memnon-Kolosse mit 18 m Höhe.
5 Sein einziger Feldzug ging gegen Kusch.
10 Hochzeit mit der Mitanni-Prinzession Giluchepa.
11 Anlage eines Sees für Teje (zugehörige Barke nach Aton benannt).
12-19 Ohne Belege.
25 Diplomatischer Briefwechsel mit Babylon beginnt vermutlich.
27 Kronprinz Thutmosis stirbt.
29 Umzug nach Malkatta, seinen Palast in Theben-West.
30 1. Sed-Fest; Beginn der eventuellen Koregenz.
31 Ab da diplomatischer Verkehr mit zahlreichen Potentaten.
34 2. Sed-Fest.
35/36 Geburt von Semenchkare.
36 Pharao erbittet von Tuschratta das heilkräftige Ischtar-Bild v. Ninive, heiratet die Mitanni-Prinzessin Taduchepa.
37 3. Sed-Fest.
38/39 Tod Amenophis’ III.
39 1 Neuanfang als Echnaton; Geburt von Meritaton (später von Echnaton wie von Semenchkare geheiratet) [M.1: 97].
41 3 Bau des großen Tempels Gempaaton in Karnak; Geburt von Maketaton.
42 4 Sed-Fest, auch als 4. und letztes gezählt. Hochzeit Echnaton – Nofretete [M.1: 97], Beginn der religiösen Umgestaltung; Amun-Hoherpriester abgesetzt und Aton-Herrschaft; Geburt von Anchesenpaaten. Bau des Tempels Hutbenben [Reeves, 111].
43 5 Baubeginn von Achet-Aton (Amarna): Änderung der Königsnamen.
44/45 6/7 Geburt Anchesenpaaton [M.2: 91]; später mit Echnaton verheiratet
46 8 Umzug nach Achet-Aton; Geburt von Neferneferuaton Tascherit.
47 9 Die königliche Titulatur Atons wird verändert [M.2: 91]; Geburt von Tutanchaton [M.2: 102], Geburt von Neferneferure und Setepenre.
50 12 Tod seiner Mutter Mutemwia. Danach Hochzeit mit seiner Tochter Iset (Isis). Sechs Töchter belegt (auch Neferneferuaton-tascherit, Neferneferure, Setepenre). Tutanchamun geboren. Nofretete ändert ihren Namen und nimmt eine in Kartusche gesetzte Königstitulatur an [M.2: 112 f.].
51 13 Wohl letztes Jahr von Teje; Tochter-Gemahlin Meritaton stirbt.
52 14 Drei Töchter sterben: Maketaton, Neferneferure, Setepenre [Schlögl 2008, 83]
52 16 Nofretete letztmalig genannt, könnte aber Echnaton überlebt haben.
55 17 Todesjahr Echnatons; bis hier läuft die diplomatische Korrespondenz.

Die Identitätssetzung ergäbe maximal 55 Reg.jahre für Amenophis III.=IV. und ein Lebensalter von ca. 63 Jahren, das nicht ungewöhnlich wäre. Zum Vergleich: Sein Nachfolger Aja war wohl bereits 54 Jahre alt, als er zum Pharao erhoben worden ist, auf alle Fälle galt er als betagt. Und vier Regenten nach ihm verweilte Ramses II. allein 64 Jahre auf dem Thron.

Der Urheber des Aton-Kultes

Oben sind wir Amenophis III. begegnet, der bereits den Aton-Kult forciert. Das lässt sich jetzt präzisieren:

„Amenophis III. setzte die Propaganda für den Sonnenglauben, die schon sein Vater [Thutmosis III.] betrieben hatte (Sphinx-Stele, Aton-Skarabäus) unvermindert fort. Schon im Jahr 11 seiner Regierung taucht der Name der »Strahlenden Sonnenscheibe (Aton)« auf, als Name der königlichen Barke, mit der der König den (für Teje errichteten) See befahren hat. Am Ende seiner Regierung, im Palast von Malqata, wird diese solare Formel, die längst zum bevorzugten Beinamen Amenophis III. avanciert ist, in Gestalt einer Rebusschreibung seines Thronnamens Nebmaatre wieder auftauchen und sich vollenden. Die Figur des Königs (neb) trägt eine Feder (maat) in der Hand und eine Scheibe (re) auf dem Kopf; so besetzt sie in der mythischen Sonnenbarke den Platz der Sonne selbst: »Nebmaatre ist die strahlende Sonnenscheibe«. Die Vereinigung mit Aton, die Amenophis [III.] noch zu Lebzeiten voll zieht, ist beispiellos“ [M.1: 175].

Rebusschreibung des Names Nebmaatre [M.1, 175]

Rebusschreibung des Names Nebmaatre [M.1, 175]

Bei diesem Tatbestand kann Echnaton nicht mehr als ‘Erfinder’ der Aton-Verehrung gesehen werden. Im Gegenteil: Er betont sogar die Rolle seines Vaters:

„Wie Reeves gesehen hat, vollzieht Amenophis IV. das Sedfest in Karnak in Vertretung seines verstorbenen Vaters, das damit seine wahre Natur offenbart: Es ist das vierte und abschließende Jubiläumsfest der »strahlenden Sonne«. Aton und Amenophis III. sind ein und derselbe geworden […] er huldigt […] der väterlichen Allmacht“ [M.1: 205 f.].

Und das in seinem 4. Reg.jahr, in dem er je nach Rechnung zwischen 12 und 26 Jahre alt war. So lässt sich klar sagen, dass der Kult nicht auf einen sehr jungen Echnaton, sondern viel eher auf seinen im 5. Lebensjahrzehnt stehenden Vater zurückgeht, der sich zuletzt „die blendende Sonne“ nannte [M.1, 85].  Der konnte ihn nach seinen gereiften Vorstellungen ausbauen, buchstäblich ausbauen. Im 41. Reg.jahr lässt er den riesigen Aton-Tempel in Karnak errichten (der bald nach seinem Tod restlos abgeräumt worden ist) und gründet im 43. Reg.jahr seine neue Hauptstadt Achetaton (Eine Verkürzung der Gesamtregierungszeit wäre hier unproblematisch.) Auf den frühen Grenzstelen wird das Bauprogramm für sie präzise umrissen:

  • der Große Aton-Tempel für seinen Vater Aton,
  • der Kleine Aton-Tempel für seinen Vater Aton,
  • auf der Insel des Aton das Haus des Jubelns in Achet-Aton für seinen Vater Aton,
  • der Palast für ihn selbst und die Große königliche Gemahlin,
  • Grabkapellen für den Obersten der Propheten, für die Gottesväter Atons in dem Berg im Osten von Achet-Aton [R. 133].

Das wäre für einen Knaben oder jungen Mann erstaunlich, der hier zugleich seinen Vater, wesenseins mit Aton, verherrlicht, denselben Vater, dessen Namen er anschließend hundertfach beschädigt, indem er die Hieroglyphen für Amun herausmeißeln lässt. Eine nicht mehr verifizierbare Quelle hat  betont, dass der Aton-Glaube des alten Amenophis III. stärker war als der des jungen Amenophis IV.! Dem allen ist am ehesten dadurch Rechnung zu tragen, dass Amenophis IV. und Echnaton ein und dieselbe Person sind.

Maciejewski betonte, dass der Kronprinz nicht nur bei keinem der Sed-Feste anwesend war, sondern überhaupt nie zusammen mit seinem Vater abgebildet wurde. Velikovsky fiel zusätzlich auf, dass sich Amenophis III. mit Frau und/oder Töchtern abbilden lässt, aber nie mit einem Sohn. Er vermisst sogar jegliches Lebenszeichen.

„In dem Grabe von Juja und Tuja, den Eltern der Königin Teje, befanden sich Totengaben des Königs, der Königin und ihrer Töchter, aber keine von Echnaton“ [Velikovsky, 52 unter Bezug auf T. Davis]

Bei Maciejewski [1: 199] findet sich eine dürre Spur, ein Siegelabdruck: „er trägt die Aufschrift: «Domäne des wirklichen Königssohns Amenophis».“

Einwände

Für die hier vertretene These wären nur Geschwister von Amenophis III. ein Problem, wenn sie etwa das Bett mit Echnaton geteilt hätten. Das aber ist nicht der Fall: Seine sechs Geschwister sind nicht in die vielfältigen, generationenübergreifenden Beziehungen verstrickt. Solches gilt nur für Amenophis’ III. Tochter Satamun (Sitamun), die der Vater selbst heiratet, die aber auch von Echnaton geheiratet worden sein soll, da sie die Erbprinzessin war und als solche die Königswürde weitergab.

Was ist eigentlich über den Tod Amenophis’ III. bekannt? Die  Schilderung klingt eindeutig: „Die Residenz war in Schweigen. Der Hofstaat saß, den Kopf auf den Knien, das Volk klagte“ [M.1: 169]. Wäre es so gewesen, müsste der Verfasser ebenfalls dialektisch argumentieren, um die Gleichsetzungsthese zu retten. Allerdings bezieht sich Maciejewski hier auf das Kapitel „Das Begräbnis Amenophis’ III.“ von Reeves [91 f.], der dort sofort einräumt, „das klagende Volk“ stamme aus einem Text des Mittleren Reiches. Gerade weil nichts von Tod und Begräbnis Amenophis’ III. bekannt ist, imaginiert Reeves [91] „ein ehrfurchtsgebietendes Schauspiel mit Vertretern aus jedem Winkel der damals bekannten Welt in reicher und farbenprächtiger Aufmachung“. Derartige Phantasiegebilde werden hiermit entbehrlich.

Bestattung: Es darf natürlich nur eine Mumie des ‘Doppelpharaos’ geben. Trotzdem sind zwei Mumien im Gespräch. Es gibt eine Mumie, die Amenophis III. zugeschrieben wird:
„In der 21. Dynastie wurde die Mumie neu in Binden eingewickelt, nachdem sie von Grabräubern beschädigt worden war, und im Grab seines Großvaters Amenophis II. (KV35) wieder bestattet. Die Zuordnung ist jedoch zweifelhaft, da sie im Sarg eines Ramses lag, bedeckt mit dem  Sargdeckel des Sethos II.“ [wiki / Amenophis III.].

Für Echnaton gilt heute überwiegend die Mumie aus KV 55 als die seine – je nach Untersuchungsergebnis. So ist der Leiche abwechselnd ein Alter von rund 25, dann höchstens 23, dann 35 oder auch mal 60 Jahren attestiert worden [Reeves, 96, 98] – eine Zahl passt auf jeden Fall für Echnaton. Christian Loeben entschied sich trotz der 60 Jahre für Echnaton [Seynsche].
Nach der hier vertretenen Meinung ist Amenophis III. nicht im Tal der Könige beigesetzt worden, sondern als Echnaton in seinem Grab in Amarna, aus dem seine Mumie dann doch nach Theben gebracht wurde, um heute mal existent, mal inexistent zu sein.

Teje dürfte im Königsgrab von Amarna bestattet worden sein; ihre Mumie wurde dann weiter nach KV 55 und ins KV 35 verbracht. Die hier gefundene „Elder lady“ wird derzeit von vielen als ihre Mumie gesehen, die „Younger Lady“ aus dem gleichen Grab als die der Nofretete. Aber die Bestimmung der Mumien und ihrer Verwandtschaftsverhältnisse ist noch nicht abgeschlossen, sind doch die Ergebnisse ebenso widersprüchlich wie die Interessenlagen unter den Ägyptologen.

Für die anstehende Diskussion wirkt es zunächst so, als ob weder der ‘verblichene’ König nach seinem Tod noch der Kronprinz vor seiner Thronbesteigung biographische Spuren hinterlassen haben. Das ist Voraussetzung für die hier vertretene These. Aber bei ihr darf es auch keine gemeinsame Abbildung geben, konnte doch der Pharao nicht zeitgleich als sein Kronprinz  auftreten. Es gibt vier mögliche Widersprüche.

Dritter Pylon von Karnak

An diesem Bauwerk ist Amenophis III. zweimal dargestellt, begleitet von einem leider ausgemeißelten König.

„Es gab verschiedenartige Erklärungen für diese Figuren, doch aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir eine Darstellung des Seniorkönigs und seines Sohnes und Koregenten Amenophis IV. vor uns“ [Reeves, 89].

Der Sachverhalt dürfte nur für Verteidiger einer Koregenz so eindeutig sein.

Grab des Huja

In dem Amarna-Grab für Tejes Kämmerer ist auf einem Türsturz die berühmte doppelte Familienszene abgebildet: Unter Atons Sonnenhänden sehen wir einmal Echnaton und Nofretete mit vier Töchtern, einmal Amenophis III. mit Teje und Tochter, wenn man die Inschrift ernst nimmt, wobei allerdings die Schreibweise des Wortes Nebmaatre (für Amenophis III.) problematisch ist [M.1: 107].

„Was kann es bedeuten, König Amenophis III. auf einem Bild aus dem 12. oder 13. Regentschaftsjahr seines Sohnes in Amarna unter der Atonscheibe dargestellt zu sehen? Zwei unterschiedliche Ansätze sind in der Forschung diskutiert worden“ [M.1: 108].

Das wurde als Hinweis auf eine ebenso lange Koregenz zwischen beiden Herrschern interpretiert, doch sie ist bei einer Länge von 13 Jahren unhaltbar. Andere sahen hier eine pietätsvolle Geste Echnatons gegenüber seinem längst gestorbenen Vater. Doch Pendlebury hat bereits 1935 darauf hingewiesen, dass die Strahlenhände auch Amenophis III. das Henkelkreuz als Lebenssymbol vor den Mund halten [M.1: 108]. Demnach leben zu diesem Zeitpunkt beide Pharaonen. Da dies nicht sein darf, helfen nur logische Spitzfindigkeiten weiter. Für Velikovsky [105] sollte die Darstellung von Amenophis III. trotz der Beschriftung die von Echnaton sein. Maciejewski quälte sich länger:

„Wenn es sich bei dem König auf der rechten Bildhälfte des Reliefs weder um den herrschenden noch um den verstorbenen Amenophis III. handeln kann, dann müssen wir zur Sicherheit des ersten Blicks zurückkehren und in ihm Echnaton (an)erkennen – Echnaton, der im Namen des Vaters erschienen ist? Dialektisches Denken ist gefragt. Anstatt das Rätsel mit dem Nimbus des Unlösbaren zu umgeben, müssen wir die Gegensätze zur Aufhebung des Widerspruchs nutzen. Die Imago des Vaters wird von Bild und Text sehr wohl evoziert. Aber anders, als es die Vertreter der Mitregentschaftsthese wahrhaben wollten, scheint Echnaton (wie der Eingangstext der Inschrift andeutet) den Gottkönig Aton als seinen Vater  anzurufen. Erinnern wir an den Gleichklang des Aton-Namens (Jati) mit dem ägyptischen Wort für mein Vater (jat-i). Es ist sein göttlicher Vater, mit dem Echnaton eine Koregentschaft inszeniert. Im Namen Atons ist er erschienen, um die Stelle seines leiblichen Vaters Amenophis einzunehmen. An der Seite von Teje ist der Sohn des Aton der wiedergekehrte Nebmaatre, so wie dieser sich schon zu seinen Lebzeiten als »Strahlende Sonnenscheibe« vergöttlichen ließ. Als Revenant des Vaters ist ihm Königin Teje freilich nicht länger Mutter, sondern Gemahlin, mit der er eine eigene zweite Familie gegründet hat“ [M.1: 108 f.; Hvhg. HI].

Dialektik in allen Ehren, aber bevor der tote Amenophis III. als wiedergekehrter Nebmaatre (sein Thronname), als lebender Wiedergänger (Revenant) seiner selbst auftreten muss, der nun Teje nicht als Mutter, sondern als Gattin präsentiert, greifen wir zur einfachen und sinnstiftenden These: Amenophis III. alias Echnaton lebt und ist zunächst mit Teje und ab Amarna auch mit Nofretete verheiratet; beide Familien werden mit den jeweiligen Kindern gezeigt! Maciejewski fährt unmittelbar fort, eine weitere Inschrift aus dem Grab des Huja heranziehend:

„»Die Erbprinzessin, sie steht hoch in der Gunst, eine Frau von Anmut,  süß in ihrer Liebe, die den Palast mit ihrer Schönheit erfüllt, Herrin des Südens und des Nordens, die Große Gemahlin des Königs, die er liebt, die Herrin der beiden Länder, Teje.«
Dieses Hohelied der Liebe hat Theodore M. Davis, dem Ausgräber von KV 55 (der dieses Grab anfänglich Königin Teje zuordnete), einst einen gehörigen Schrecken eingejagt: Klingt die Passage, von der »Großen Gemahlin des Königs, die er liebt« nicht ganz so, fragte er sich, als würde Tejes Ehemann [also Amenophis III.; HI] noch leben? Zu der schockierenden Antwort (Ja, in der Person ihres Sohnes!) hat freilich auch er nicht gefunden“ [M.1: 109; Hvhg. HI].

Maciejewskis Antwort ist zweifellos ‘sophisticated’ – aber die eigentliche Lösung ist nicht schockierend, sondern allenfalls schockierend einfach: Amenophis III. alias Echnaton lebt und dies nicht im Mutter-Sohn-Inzest. Schließlich führt er seit Jahrzehnten den Titel „Strahlende Sonnenscheibe“.

Maciejewski [ebd.] sieht die Vergottung „als Menetekel des Größenwahns eines Despoten“, aber viele spätere Regenten ahmten das unbekümmert nach; selbst die nüchternen Römer kannten den zur Gottheit erhobenen lebenden Kaiser; ein viel später lebender „roi soleil“ namens Louis XIV hätte das wohl auch gerne so gehabt, wenn er sich damit nicht die Rolle Christi angemaßt hätte.

Velikovsky verweist – im selben Huya-Grab – noch auf eine Teje verherrlichende Inschrift, die ‘Altmeister’ Maspero († 1916) zu der Äußerung veranlasste: „Genau so, als ob ihr Gemahl noch am Leben wäre“ [Velikovsky, 105].

Fazit: Die schon früher existente Gottesform Aton wird von Amenophis III. zum Kult entwickelt; als Echnaton führt er ihn zur vollen Höhe! Nicht zuletzt wird Aton zum Pharao, werden doch seine Namen in Kartuschen geschrieben. „Der Aton-Kult wurde zum Kult des Königtums schlechthin“ [Reeves, 117].

Grab des Cheriuf

Schlögl [2008, 22] bringt als Argument gegen eine Koregenz das Grab in Theben-West des Oberschatzmeisters Cheriuf, der zwei Sed-Feste für Amenophis III. ausgerichtet hat. Dort kann man auch verfolgen, wie akribisch Ägyptologen jeden möglichen Hinweis ans Licht bringen.

„Wendet man sich noch einmal dem Grabeingang zu, so stößt man dort auf eine faszinierende Szene, die jedoch stark beschädigt ist. Aus der südlichen Wand […] wurde vieles herausgehackt, der Rest ist mit einer dicken Schicht aus Ruß und Schmutz bedeckt. Die Szene war so stark beschädigt, dass niemand sie bis zu den 1950-Jahren für interessant hielt. Als die Fachleute für Epigraphik der Universität Chicago mit der Erfassung der Dekoration in TT192 begannen, verbrachten die Künstler und Epigraphen  im wahrsten Sinne des Wortes Hunderte von Stunden damit, die verbliebenen Spuren auf der Wand zu betrachten. Nur Bruchstücke des ursprünglichen Reliefs waren zu sehen, aber durch unterschiedliche Beleuchtung und mit einer Mischung aus Kryptographie und Ägyptologie gelang es dem Team schließlich, das Original zu rekonstruieren. Im Jahr 1980 erstellte es zwei Zeichnungen. Eine nur mit den Elementen, die auf der Wand zu sehen waren, eine andere mit den Elementen, die man rekonstruieren konnte. Der aufschlussreiche Unterschied ist der Geduld und dem Geschick des Teams zu verdanken. In dieser Szene zollt Amenophis IV. dem Gott Re-Harachte Tribut. Vor dem König ist eine große Menge an Opfergaben“ [Weeks, 452].

Trotz der Anstrengungen für die Rückgewinnung einer Kultur steht das Grab gegen eine Koregenz:

„So belegt etwa das Grab des hohen Beamten Cheriuf, dass sich die ersten Regierungsjahre Amenophis’ IV. an die letzten seines Vaters anschlossen und nicht parallel mit ihnen verliefen: Es wird das 36. Regierungsjahr Amenophis’ III. genannt, während an anderer Stelle im gleichen Grab Amenophis IV. zusammen mit seiner Mutter Teje vor verschiedenen Gottheiten dargestellt erscheint. Wäre Amenophis IV. zu dieser Zeit der Mitregent seines Vaters gewesen, dürfte man sein Bildnis an prominenterer Stelle in der Nähe seines Vaters erwarten. Auch eine Weinlieferung aus dem 37. Regierungsjahr nennt keinen Mitregenten. Schließlich erwähnt eine mit Tinte aufgeschriebene Notiz zu einem hieratisch  geschriebenen Amarnabrief (EA 27) das 2. Regierungsjahr Amenophis’ IV., ohne einen Mitregenten zu nennen. Eine Doppelherrschaft der beiden Könige kann also nicht länger angenommen werden“ [Schlögl 2008, 22 f.].

Jahrzehnte vor Dechiffrierung der Reliefszene wurde das Grab so eingeschätzt:

„Dieser Cheriuf hat die erste Regierungszeit Amenophis’ III. noch erlebt – aber offenbar folgte er nicht dem Reformator und sein unvollendetes Grab fiel der Verfolgung anheim“ [Kees 1953, 43].

Grab des Amenhotep-Huja

Auch dieser Wesir, also hoher Beamter, ließ sich ein adäquates Grab in Theben-West bereiten, das in dem Gebiet El Asasif gefunden worden ist. Der heutige Minister für Altertümer, Mohammed Ibrahim, publizierte einen Befund aus diesem Grab:

„Im Februar 2014 sprach das ägyptische Ministerium für Altertümer von einer »konklusiven Evidenz« dafür, dass Echnaton seine Macht mindestens 8 Jahre mit seinem Vater geteilt hat; die Evidenz leitet sich vom Grab des Wesirs Amenhotep-Huja ab. Es wird von einem multinationalen Team  studiert, geführt durch das Instituto de Estudios del Antiguo Egipto de Madrid und Dr. Martin Valentin“ [engl.wiki / Amenhotep III; Übers. HI].

Hier sind Stuck-Kartuschen im Zusammenhang mit dem ersten Sed-Fest gefunden worden, die einst an Säulen befestigt waren. Sie standen nicht direkt nebeneinander; den Kommentaren nach handelt es sich um die frühe Form der Titulatur Echnatons („referring to Akhenaten by his early title“ [AFP]. Das nimmt Wunder, denn zu dieser Zeit müsste noch der Amun-Name erwartet werden. Hier werden noch weitere Informationen benötigt. Bis dahin widersprechen sich die Texte aus den Gräbern von Cheriuf und Amenhotep-Huja.

Weitere Argumente

Generell müssen Bilder eines jungen Königs Amenophis IV. nicht gegen Amenophis III. = Echnaton sprechen. So bemerkt Maciejewski [2: 87 f.]:

„Nach der Lehre der neuen Sonnenreligion trat das Königspaar als verjüngtes Götterkinder-Paar des Aton in Erscheinung, wobei ihr Verhältnis untereinander von Parität geprägt war und Aton den Status eines androgynen Lebensgottes anfänglich beibehielt.“

Vom Verfasser ist wiederholt kritisiert worden, dass Echnaton nur Granitarbeiten über eine Größe von 40 bis 50 cm Höhe in Auftrag gab, während für Amenophis III. vier, fünf Meter lange oder hohe Plastiken, dazu Obelisken aus Hartgestein ‘normal’ sind [etwa Illig 1998]. Das ließ sich dadurch motivieren, dass der mittlerweile ca. 45 Jahre alte Amenophis so schnell wie möglich sein neues Achetaton errichten will und deshalb keine Zeit mit langwieriger  Granitbearbeitung verlieren will. Nur sein Sarkophag wäre aus Granit herausgehämmert worden, nun wirklich für die Ewigkeit gedacht.

Doch mittlerweile sind Fragmente von zahlreichen Kolossalstatuen aus Granit bekannt [vgl. Schlögl 2012, 59, 88]. 2012 ist in der Berliner Amarna-Ausstellung ein granitener Kopf der Nofretete gezeigt worden, der mit seinen 23 cm Höhe Teil einer lebensgroßen Gruppe zusammen mit Echnaton gewesen sein soll [Bartetzko]. Demnach hätten die Aton-Feinde sich primär auf die für die Ewigkeit gemachten Zeugnisse gestürzt. In seinen späten Jahren ließ sich Amenophis III. lebensnah abbilden, ein Naturalismus, den er als sein eigener ‘Nachfolger’ nicht sofort, sondern erst in Amarnas Spätphase auf die Spitze getrieben hat.

Es gibt auch einen neuen Mumienbefund, der sich bislang nicht ins System einfügen will:

„Bei der Mumie aus KV55 handelt es sich um ein männliches Skelett. Die Mumienbänder, mit denen sie umwickelt war, trugen den Namen Echnatons (Arthur Weigall). Das Gesicht der Mumienmaske war stark zerstört, und die Kartusche auf dem Brustschmuck war leider herausgeschnitten.
Die physische Ähnlichkeit von Körper und Schädel mit Tutanchamun und die identische Blutgruppe ließen vermuten, dass es sich hier um die sterblichen Überreste des Echnaton handelt.
Eine Tatsache spricht jedoch dagegen: Untersuchungen von Pathologen haben ergeben, dass hier das Skelett eines 20- bis 25-jährigen Mannes gefunden wurde. Da Echnaton bei seinem Tode sicherlich älter war, bliebe nur einer übrig: Semenchkare. Aber auch diese Aussage ist wieder umstritten, denn nach den jüngsten Meldungen des ägyptischen Antikendienstes soll es sich jetzt um einen etwa 60-jährigen Mann handeln, wie jüngste CT-Untersuchungen ergeben hätten [wiki  Semenchkare, unter Bezug auf Zahi Hawass, o.J.].

Damit wäre klargestellt, dass Echnaton um die 60 Jahre alt geworden ist. Das aber ist nur möglich, wenn er mit Amenophis III. identisch ist. Aber dieses Ergebnis soll nicht überschätzt, sondern als Zwischenwert gewichtet werden.

Auswirkungen

Nachdem mögliche Einwände gegen die These behandelt worden sind, interessiert natürlich, was sich durch sie für unser Geschichtsverständnis ändert.

Zunächst wird die Durchführung des Sed-Fests Echnatons plausibel gemacht, denn Gedenkveranstaltungen für einen Verstorbenen wirken nicht ‘ägyptisch’.

Weiter wäre der wachsende Aton-Glaube Amenophis’ III. erklärt, der  bislang nicht zur Amarna-Entstehung passen wollte.

Sehr gut passt nun der Umstand, dass Amenophis III. nach Ramses II. als zweitgrößter Bauherr des alten Ägyptens gilt; er hätte als 46-Jähriger, dem weiterhin keine Kriege ins Haus stehen, durchaus im Vollbesitz seiner Kräfte einfach weitere Bauprojekte in Angriff genommen und den bereits vorhandenen Handwerkern einen neuen Stil abverlangt. Ihm ist auch zuzutrauen, dass er seine Residenz ein weiteres Mal verlagert, diesmal von Malkatta nach Amarna.

„Eigentlich war Achetaton keine Hauptstadt im modernen Sinn wie Memphis oder Theben, sondern im Wesentlichen königliche Residenz und religiöses Zentrum. Sie ist eher mit Amenhotep III.’s neuer Stadtgründung Tjehen-Aton (»Glanz des Aton«) in Westtheben vergleichbar. Beide besaßen einen als Per Hai (»Haus des Jubels«) bezeichneten offiziellen Zentralbezirk mit Tempeln und Palästen, in denen königliche Gedenkfeste (Heb-Sed) abgehalten wurden, und weitere spezielle Bauten, wie die für Vergnügungszwecke angelegten Komplexe Maru-Amun und Maru-Aton“ [wiki / Amarna].

Dieser Ähnlichkeit entspräche die Ähnlichkeit beider ‘Hälften’ einer Person.

Gerade zum großen Bauherrn Amenophis III. passt ein großer Aton-Tempel mit einer Grundfläche von 730 x 229 m. Wer hätte dem jungen Echnaton nach dem Tod seines Vaters dazu raten können: seine Mutter Teje, ihr Bruder Aja? Gerade Aja ist später als Pharao nicht als großer Baumeister hervorgetreten; bekannt sind lediglich ein Totentempel in Theben-West, zwei Kapellen und sein Königsgrab im Kings Valley.

Der rasante Stilwechsel lässt sich nur dann erklären, wenn nicht ein Jüngling Neues tastend versucht, sondern ein erfahrenen Mann auftritt, der sich den Wechsel hin zum Gottesstaat bis ins Detail ausgedacht hat. Nachdem für die Kunstwerke von Amarna bestenfalls 12 Jahre bleiben, muss alles sehr schnell gegangen sein. Im Grab des Wesirs Ramose, Theben-West, fand der Wechsel direkt sichtbar statt:

„Obwohl große Flächen der Reliefdekoration im eleganten, formellen Stil des Senior-Königs ausgeführt sind, ist mit dem Tod die zügelnde Hand der Etikette verschwunden, und wir werden Zeugen, daß sich praktisch über Nacht der lockere und naturalistische Stil Amenophis’ IV., vollständig ausgeprägt, durchgesetzt hat. Und zwar nicht nur in der Darstellung des Königs und seiner Hauptgemahlin Nofretete, die – wie flüchtig skizziert – unter den schützenden, lebenspendenden Strahlen Atons im »Erscheinungsfenster« stehen, sondern auch in jener des unglücklichen Ramose selbst“ [Reeves, 115].

Es handelt sich allerdings nicht um das berühmte Erscheinungsfenster von  Amarna, das damals noch nicht gebaut war, sondern um ein Fenster des Aton-Tempels von Karnak [Schlögl 2008, 33] – sonst hätte der Stil mindestens sechs Jahre Zeit zum Reifen gehabt.

Ein solch rapider Übergang ist von einem jungen Mann nicht zu erwarten, der sich bislang weder in Malerei, Plastik oder Architektur ausgedrückt hat. Dafür braucht es einen machtbewussten Mann, der zahllose Eindrücke zu einer neuen Vision verdichtet hat.

Auf jeden Fall ist der Wechsel allumfassend. So werden auch die ersten Inschriften in der neuen Residenzstadt – auf den Grenzstelen – erstmals auf Neuägyptisch, also in der Umgangssprache, nicht mehr in Mittelägyptisch geschrieben [Reeves, 127].

„Dies war – wie Burkhart Kroeber feststellt – der tiefste Einschnitt im Verlauf der ägyptischen Sprachgeschichte, eine Kulturrevolution von großer Tragweite, die alle Konventionen missachtete“ [Schlögl 2008, 57].

Außerdem wird die Verehrung vergöttlichter Tiere eingestellt – mit einer Ausnahme: Der Mnevis-Stier, Inkarnation des Schöpfergottes Atum [Reeves, 150], galt auch als „Sonnenstier“ [wiki / Mnevis] und wurde vielleicht deshalb von Heliopolis (griech. Mnevis) in den Nordpalast von Amarna gebracht.  Dort am Gebirgsrand wurde auch sein Grab vorbereitet. Den Gott Atum hat Echnaton in Karnak am Beginn seiner Regierung in einer fragmentarisch überlieferten Rede noch angesprochen [Reeves, 160]. Völlig verändert haben sich auch die Jenseitsvorstellungen, die so wenig eine Rolle spielen wie der Totengott Osiris [Grimm, 117].

Dafür kann ein Rätsel geklärt werden, das Velikovsky beschäftigt hat. Aus Inschriften in Huyas Grab erfahren wir:

„Echnatons Vater, Amenophis III., war schon fast zwölf Jahre tot, und während ebenso vieler Jahre unterhielt seine Witwe noch einen Harem für den Verstorbenen, was kaum zu begreifen ist.“ [Velikovsky, 96]

Ist es ein Problem, dass Amenophis III. als kluger Diplomat das Kräftegleichgewicht zwischen den damaligen Mächten gut austarieren konnte, während Echnaton nicht als großer Diplomat gilt? Sicher nicht, denn wenn sich der Pharao ein religiöses Rückzugsgebiet in Amarna schuf, könnte direkt damit verbunden sein Interesse an diplomatischen Bemühungen erloschen sein. Als lebender Gott konnte er hier schalten und walten, ohne sich den aus dem Nahen Osten kommenden Ärgernisse auszusetzen. Er hat auch seine Frau Teje eingebunden:

„Alle Dekrete von Amenophis III. wurden nicht nur in seinem Namen, sondern auch dem seiner Gemahlin versehen. Auch dies stellt einen ungewöhnlichen Vorgang dar, der in der ägyptischen Geschichte bisher nicht vorkam. Des Weiteren gibt es eine Reihe von außergewöhnlichen  Darstellungen dieser Königin in Form von Statuen und Reliefs. Eine Figur zeigt sie als die Göttin Taweret (Thoeris). Durch die Amarna-Briefe wird außerdem deutlich, dass Teje wie keine Königsgemahlin vor ihr in alle diplomatischen Vorgänge eingeweiht war, sowie starken aktiven Anteil an der Politik nahm und sogar selbsttätig mit befreundeten Herrschern korrespondieren konnte (EA 26).“ [wiki / Teje]

Eine ähnlich starke Rolle hat in Amarna auch Nofretete erhalten. Dort scheint anfangs das Matriarchat zu dominieren. So entstehen in Karnak als erstes Tempel(an)bauten, die ausschließlich Nofretete gewidmet sind. Sie wird als allein Opfernde gezeigt, als erste unter den Strahlenhänden Atons [M.1: 182]. Bis Amarna wird sie doppelt so oft abgebildet als ihr Mann [M.1: 185]. Auch der berühmt-berüchtigte scheinbar geschlechtslose Koloss vom nackten Echnaton erweist sich bei näherem Hinsehen als eine Statue von Nofretete [M.1: 191 f.; Reeves, 190], bei der ihr Gesicht ähnlich verzerrt worden ist wie sonst das ihres Gatten, aber die Konturen erkennbar bleiben.

Doch dann steht auf einer der früh gestalteten Grenzstelen für Amarna: „Auch soll die Königin nicht zu mir sagen: ›Sieh doch, es gibt einen schönen Ort für Achetaton an einer anderen Stelle.‹ Ich würde nicht auf sie hören“  [M.1: 211]. (Nun wäre zu fragen, ob das vielleicht auf Teje bezogen war.) Später wird Nofretete immer wieder als Pharaonin gezeigt, geschmückt mit der Uräus-Schlange des Potentaten. Abbildungen demonstrieren, dass sie wie ein Pharao Feinde nieder- oder auch erschlägt. Dazu werden ausgerechnet Feindinnen ins Bild gesetzt [M.2: 47] – eine seltsame ‘Arbeitsteilung’ für den Pharao und sein Weib. Wenn der Herrscher aber schon 38 Regierungsjahre hinter sich und Bauten ohne Ende zur Ehre der Götter wie seiner eigenen Person errichtet hat, dann ist er seiner neuen Gattin die anfänglich eigenen Auftritte gewissermaßen schuldig. Auf jeden Fall war Nofretete gleichwertige Königspartnerin [etwa M.2:, 113], so wie es auch Teje war. Hinweise auf ein aufblühendes oder auch abschwellendes Matriarchat sind daraus nicht zu gewinnen.

Einen Kritikpunkt könnten die familiären Verflechtungen bergen, die Vater wie Sohn umfassen. Ihnen vorauszuschicken ist, dass viele Bezüge nach wie vor unklar sind, zumal seitdem die aDNA-Untersuchungen Verwandtschaftsverhältnisse fordern, die schwer mit dem bisherigen Wissen zu vereinigen sind.

Die Großfamilie von Amenophis III.

Eltern: Thutmosis IV. und Mutemwia;
Frauen: Teje, Kiluchepa (Tochter von Šutarna II.), Taduchepa (Tochter von Tušratta), seine Tochter Satamun (ab dem 1. Sed-Fest im 30. Reg.jahr)  und ebenso Isis (nach dem Tod der Mutter, nach dem 32. Reg.jahr); Haremsdamen sind nicht namentlich bekannt.
Geschwister (6): Amenemhet, Amenhotep-Meri-chepesch, Tiaa, Amenemipet, Tent-Amun und Petepihu;
Kinder (von Teje): Amenophis (IV.), Satamun, Thutmosis, Baketaton (?);
Kinder von anderen Frauen: Iset, Henuttaunebu, Nebet-tah.

Amenophis III. war ein sehr selbständiger Charakter, folgte aber in manchen Aspekten seinem Vater. Möglicherweise heiratete auch er mit Teje die Tochter eines Beamtenehepaars, also eine Bürgerliche [M.1: 176], allerdings kann Maciejewski diese Behauptung nicht untermauern. In religiösen Belangen griff er den Sonnenkult der 5. Dynastie (!) auf, baute einen Sonnentempel in Heliopolis und stärkte Aton, um der Macht der Amun-Priester von Memphis entgegenzuwirken. Manche Götterstatuen erhielten seine Gesichtszüge, was in Richtung Selbstvergottung weist. Das weibliche Prinzip bei Göttern und Familie war ihm wichtig, verehrte er doch mit Maat die Tochter des Sonnengottes. Den Titel „Große Königliche Gemahlin“ erhielten Mutter, Ehegattin und Tochter-Gemahlin Satamun (Sitamun). Gemäß dem Hathor-Mythos – sie war Mutter, Gemahlin und Tochter von Re – ging es auch Amenophis III. um drei weibliche Generationen, wie man an den stark zerstörten Nebenfiguren  seiner Memnonskolosse abzulesen glaubt [M.1: 85]. Bei Tod seiner Mutter ging deren Titel auf die Tochter-Gemahlin Isis über.

Echnatons Familienbande

Eltern: Amenophis III. und Teje;
Frauen: Nofretete und Kija, dazu Teje;
Geschwister (6): Thutmosis (früh verstorbener Bruder), Satamun, Iset, Henuttaunebu, Nebet-tah und vielleicht Baketaton [vgl. M.2: 96];
Kinder mit Nofretete: 1. Meritaton, 2. Maketaton, 3. Anchesenpaaton,4-6: Neferneferuatontascherit, Neferneferure, Setpenre;
Kinder, fragliche: Semenchkare, Tutanchaton, Baketaton. Semenchkare wird von einigen Ägyptologen mit Nofretete gleichgesetzt [Quelle auch alt- ägypten]; für andere stammt er von Amenophis III. [M.2: 133]. Tutanchaton war bei seinem Regierungsantritt 8 Jahre alt und verlässt Amarna mit 10 [M.1: 160]. Baketaton scheint von Teje zu stammen, ohne dass dies präzisiert werden könnte [M.1: 99]; als Vater scheint Echnaton festzustehen [M.2: 85]. Aldred lässt die Kinder nicht von Echnaton, sondern von Amenophis III. stammen [M.1: 100].
Enkel-Kinder: Es gibt zwei Mädchen aus Echnatons Tochterehen: Meritaton-tascherit und Anchesenpaaton-tascherit [M.2: 83].

Weitere Auswirkungen

Im Wesentlichen verliert der Psychoanalytiker an Brot. Denn vieles, das ihn an Amarna fasziniert, erledigt sich gewissermaßen ersatzlos. Denken wir daran, dass Immanuel Velikovsky eine faszinierende Zusammenschau des Amarna-Geschehens und der Mythen um Theben – im Zentrum Ödipus – geleistet hat: Ödipus, der seinen ihm unbekannten Vater erschlägt und die ihm unbekannte Mutter heiratet. Freud müssen wir außen vor lassen, denn er hat die Grundbedingung – Ödipus kennt seine Eltern nicht – schlichtweg ignoriert, als er seinen „Ödipus-Komplex“ schuf, bei dem sich der Sohn gegen seinen nur allzu gut bekannten Vater auflehnt, um die real geliebte Mutter zu gewinnen. Seine Beobachtung war ebenso richtig wie die Benennung falsch; aber das so gewonnene Etikett kennt alle Welt. Für Velikovsky [62] war es wichtig, dass sich der spätere Echnaton zwar gegen seinen eigenen Vater auflehnt, aber ihn nicht kennt, weil er abseits des Hofs aufwächst und erst nach dessen Tod in Malkatta eintrifft. Das gilt ebenso für Teje, die ihm freilich als Mutter bekannt war.

Der psychoanalytisch ausgebildete Maciejewski weiß darum und benennt das letzte Kapitel seines Buches sogar mit „Ödipus in Amarna?“ [M.1: 295-312], ohne hier Velikovsky auch nur zu erwähnen (Freud nur ganz beiläufig), wie er auch  seine eigene Frage nicht beantwortet. Dabei macht er zu Anfang seines Buches eine klare Aussage, die ebenso klar von Velikovsky stammt:

„Nicht in der Gestalt des biblischen Moses, sondern in König Ödipus könnte sich eine verschobene Erinnerung an König Echnaton erhalten haben“ [M.1, 30].

So führt er dessen einschlägiges Buch in seiner Literaturliste, bezieht ihn aber nicht ein. Stefan Diebitz [262] hat den dort vertretenen psychoanalytischen Ansatz hart kritisiert; er rügte auch dieses Verhalten:

„Mit einem Velikovsky wird dieser Autor leider sehr schnell fertig, so schnell, dass es erst gar nicht zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommt. Nicht in dem Kapitel über Ödipus, wo er eigentlich auf ihn hätte eingehen und vielleicht auch gegen ihn argumentieren können, sondern ganz am Anfang seines Buches, versteckt in einer Endnote, stellt er ihn ohne großes Aufhebens ins Abseits: Velikovskys »phantasievolle Geschichtsrekonstruktion stellt keine seriöse Position dar und bleibt deshalb von der späteren Debatte ausgeschlossen.« [Maciejewski, 314]“

Dabei führt er sogar „den »Schwellfuß« des Echnaton“ [M.1: 301 f.] an, also die bei Darstellungen ‘aufgequollenen’ Oberschenkel im Kontrast zu lächerlich dünnen Unterschenkeln. Velikovsky [56-60] hat ihn als wichtigen Bezug zu Ödipus, dem „Schwellfuß“ auf Griechisch, in die Debatte eingebracht.

Nun also verflüchtigt sich all das, was Velikovsky herausgearbeitet hat:  Echnaton bringt nicht seinen Vater um, sondern er schließt mit seiner früheren Existenz als Amun-Gläubiger ab, indem er den Gottes-, nicht den Vaternamen tilgen lässt. Außerdem heiratet er nicht seine Mutter, sondern bleibt bei seiner Gemahlin Teje. Alle die scheinbar so präzis belegten Ähnlichkeiten mit dem griechischen Mythos zerfallen: kein ägyptischer Laios, Kreon oder Teiresias, keine Iokaste, Antigone oder Ismene, kein Brüderpaar Eteokles und Polyneikes. Es ist schade um sein spannendes Buch. Doch es war von Anfang tendenziös: Der Autor duldete nicht, dass Freud Moses zum Ägypter machte und Echnaton zum Begründer des Monotheismus [Velikovsky, 234 f.] – so stülpte er die Chronologie um und setzte Moses zeitlich vor Echnaton [ebd. 73].

Maciejewski greift auch Velikovskys Gedanken über Kataklysmen auf – „Die Götter bedienen sich typischerweise einer Naturkatastrophe“ [M1. 41], weil er unbedingt die Pest nach Ägypten holen möchte, um mit ihr die vielen Todesfälle in der königlichen Familie zu erklären [M1. 41-45, 49 f., 53]. Dabei war im selben Amarna eine riesige Arbeiter- und Künstlerschar dabei, in jahrelanger Arbeit die neue Residenzstadt zu errichten. Das wäre sicher nicht binnen dreier Jahre passiert, wenn dort die Pest gewütet hätte.

Inzeste

Unser ‘Doppelpharao’ heiratet mit dem Übergang hin zur Aton-Religion Nofretete. Erweitert sich sein Harem um sie? Dort finden sich u.a. zwei Töchter aus dem mitannischen Königshaus: Kiluchepa und Taduchepa, außerdem seine eigenen Töchter Satamun und Isis (Iset). Er war es, der – vielleicht unter östlichem Einfluss – die Töchterehe, also den Vater-Tochter-Inzest in Ägypten eingeführt hat. Und es gibt Teje.

„Auf die Missachtung durch den Vater folgte der Missbrauch durch die Mutter […] Tejes neuer Politikentwurf ähnelt dem ihres verstorbenen Gatten darin, dass sie ebenso bedenkenlos den Sexus in den Dienst der Macht stellt“ [M.1: 203].

Während der Psychoanalytiker ‘natürlich’ den Sexus auf den Schild hebt, erkennt er bei den Ägyptologen „Gräuel“ vor blutschänderischen Beziehungen:

„Während der Bruder/Schwester-Inzest als kulturtypisches, wenngleich fremdes Moment diskursfähig ist, bereitet der Vater/Tochter-Inzest den meisten schon erhebliches Kopfzerbrechen. Der Mutter/Sohn-Inzest ist Anathema und wird vollends mit Schweigen übergangen“ [M.1: 100].

Dieses Verdikt könnte auch den Verfasser treffen, weil seine These den amarnischen Mutter/Sohn-Inzest aus der Welt schafft. Wenn im Übrigen Aldred für alle Amarna-Prinzessinnen den gemeinsamen Vater Amenophis III. imaginiert, so wird er für diese „bizarre Phantasmagorie“ [M.1: 100] durch die hier vertretene  These gewissermaßen gerechtfertigt. Für Maciejewski [1: 120] geht es um folgende Inzestverbindungen:

Vater/Tochter-Inzest: Echnaton mit Meritaton, mit Maketaton und Anchesenpaaton. Die erste und dritte Beziehung habe zu den Nachkommen Meritaton-tascherit und Ancesenpaaton-tascherit geführt.
Bruder/Schwester-Inzest: Echnaton mit Satamun/Kija; daraus vielleicht Tutanchaton/Tutanchamun.
Mutter/Sohn-Inzest: Echnaton mit Teje; daraus vielleicht Baketaton.

Die jüngste Arbeit von Otto Ernst [2014] setzt Nofretete mit Satamun gleich. Erweist sich diese These als haltbar, so hätte sich der königliche Harem durch die hier vorgeschlagene Identsetzung von Amenophis III. und IV. nicht erweitert. Diese Erkenntnis könnte die DNA-Untersuchungen erleichtern, die ja ständig Verwandtschaftsverhältnisse zwischen fast allen in Amarna Lebenden feststellen. Nun wäre Nofretete definitiv keine mitannische und keine ägäische Prinzessin, sondern Amenophis’ III. eigene Tochter, ein weiterer Vater/Tochter-Inzest.

Abschied genommen werden kann von einer seltsamen Motivierung Maciejewskis: Sein mit Kraft vorangetriebener Versuch, ein (bürgerliches) Haus Juja und Tuja zu konstruieren, das mit seinen Frauen in drei Generatio nen – Mutemwia, Teje und Nofretete – fast eine Paralleldynastie gebildet hätte, wirkt allzu forciert. Er sieht Teje und Aja als Begründer des Aton-Glaubens [M.1: 167] und ist überzeugt, dass die Handschrift Teje’s und Aja’s an den ersten Aton-Heiligtümern erkennbar sei [M.1: 27, 257]. Dieser Schluss wäre vielleicht richtig, so Amenophis III. tatsächlich dahinscheidet und seine Witwe den jungen, späteren Echnaton bevormundet. Dem hat bereits Jan Assmann widersprochen:

„Teje, die Frau von Amenophis III., ist die einzige Königin, deren Eltern in einer Quelle einmal erwähnt werden. Sonst wird die Herkunftsfamilie der Königinnen auf den höfischen Denkmälern nicht genannt. Ob Nofretete oder Mutemwia (Gattin von Thutmosis IV.) aus derselben Familie, dem ‹Haus Juja› stammen, ist vollkommen offen“ [Habicht 2012, 26]

Lebt jedoch der Pharao weiter, gehen alle Einfälle zur Aton-Religion und zur Gleichrangigkeit eines gottgleichen Königspaares auf sein eigenes Konto. Es wäre auch überraschend, wenn Menschen bürgerlicher Herkunft dem Pharao eine gottgleiche Position schaffen wollten. Sollte es wirklich Tejes Idee gewesen sein, den verstorbenen Pharao im 4. Reg.jahr Echnatons unter die Götter zu versetzen: „Es ist das vierte und abschließend Jubiläumsfest der »strahlenden Sonne«, Aton und Amenophis III. sind ein und derselbe geworden“ [M.1: 205]. Diese Apotheose hat sich Amenophis III. viel eher selbst gegönnt. Dass Teje ihre Ausnahmestellung als Erbprinzessin behält [M.1: 102], ist nun noch selbstverständlicher. Psychologisch problematisch wäre es, wenn  das Folgende Realität gewesen wäre:

„So gesehen sieht es so aus, als habe sich das fügsame Kind Amenophis [beim in Karnak in Szene gesetzten Sonnenkult] ein letztes Mal dem elterlichen Willen unterworfen. Doch die Medaille hat eine Kehrseite. Zwar stimmt es, dass Amenophis wie selbstverständlich in das von Teje (und Eje [= Aja]; HI) aufgeschlagene Seil einspringt; aber schon nach kurzer Zeit bestimmt er das Tempo und verschiebt mit einer Drehung unversehens die Achse des Spiels. […] Im Kokon des Vaterkomplexes ist ein Gotteskomplex herangereift, der es erlaubt, die unerträgliche Ambivalenz der Gefühle aufzuspalten und abzuführen“ [M.1: 206].

Ein ganz erstaunlicher Junge, wenn er tatsächlich schon mit ca. 14 Jahren – so die Kalkulation Maciejewskis – die Fesseln der Mutter mit leichter Hand abstreift und sich vergottet. Zudem will er sich dafür eine eigene Stadt bauen, von der ihm bereits alle Sakralbauten klar vor Augen stehen. Mit Verlaub: In dieser Situation würde auch ein aufgeweckter Knabe mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mutterhörig bleiben, während ein 50-Jähriger weiß, um was es ihm geht, mitsamt den Feinheiten bei Bildung der Titulaturen für seinen Gott Aton, bei der Wandlung des Pharaos zum lebenden Gott und von Gott Aton zu einem göttlichen Pharao, der wiederum seine Gemahlin auf die gemein same göttliche Ebene hebt [Schlögl 2012, 52]. Diese Konstruktionen werden in Amarna unentwegt überdacht und mehrmals abgeändert – all das spricht gegen einen Jüngling, wie es auch gegen seine Mutter spräche.

Weiter sieht Maciejewski Echnaton auch unterm Pantoffel von Nofretete, da sie etwa um zwei Jahre älter ist [M.2: 53]. Doch auch das wäre noch viel zu jung, pocht doch Maciejewski auf ein Krönungsalter Echnatons von höchstens 12 Jahren. Ein 12- bis 14-jähriger Backfisch hätte sich nicht gegen Teje durchgesetzt, bei einem 50-jähriger Pharao wäre das weniger die Frage. Doch gleich darauf dominiert wieder der Pharaonenknabe, der „dem coup d’Etat der Jujakönigin rücksichtslos in die Parade fährt“ [M.2: 58] und – wie das so Teenagerart ist – einen Gottesstaat gründet [ebd.]. Diese Konstruktionen sind nicht haltbar.

Ergänzungen

Zu Tejes Rolle bei Hofe

Im Leben bleibt für den Pharao die Große Königliche Gemahlin Teje die auch zeitlich erste Frau. Deshalb lässt er sich mit ihr „Seite an Seite wie ein Ehepaar in Amarna bestatten [M.1: 159] – wohlgemerkt nicht in Theben-West, sondern in Amarna. Aber es geht nicht um die „Muttergattin der jugendlichen Gotteserscheinung des Aton“ [ebd.], sondern um die Gemahlin. Teje ist nach üblicher Rechnung 60 Jahre alt geworden; danach fanden sich lange keine  Lebensspuren von Nofretete mehr, so dass die Spekulationen ins Kraut schossen: Sie sie gestorben oder in Ungnade gefallen oder habe sich zurückgezogen.

Wie lang lebte Nofretete?

Es gibt mittlerweile zwei weitere Hinweise, den ersten aus dem 14. Reg.jahr Echnatons:

„Das nächste Zeichen über ihren Verbleib befindet sich auf einem beschriebenen Bruchstück eines Sarkophages, welcher zerschlagen im Königsgrab von Amarna (Nr. 26) gefunden wurde. Darauf ist Echnaton zusammen mit Nofretete abgebildet, wie sie gemeinsam um Teje trauern“ [wiki / Teje].

Vor zwei Jahren ist ein weiterer Fund bekannt geworden [wiki / Nofretete]:

„Wissenschaftler der niederländischen Katholischen Universität Leuven in Belgien gaben im Dezember 2012 zur Ausstellungseröffnung »Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete« bekannt, dass sie zu Jahresbeginn in einem Steinbruch nahe Achet-Aton eine Inschrift entdeckt haben, die sowohl Nofretete als auch Echnaton in dessen 16. Regierungs jahr (»Jahr 16, 3. Monat, Tag 15«) nennt. Der Steinbruch »Deir Abu Hinnis« diente zu Echnatons Regierungszeit als Hauptlieferort von Material für seine neue Hauptstadt Achet-Aton. [Bartetzko] Damit entzieht diese Entdeckung allen bisherigen Hypothesen und Spekulationen die Grundlage über den Verbleib der Königin nach dem 12. beziehungsweise 14. Regierungsjahr Echnatons.“ [Hvhg. HI]

Die Sonne wie ein Rennwagen?

Echnaton wird unterstellt, mit pfeilschnell auf der Königsstraße Amarnas dahinrasendem ‘Sportwagen’ den Sonnen-Wagen zu imitieren [M.1: 130, 208, 307; Schlögl 2008, 56]. Ganz im Gegenteil müsste erwartet werden, dass er sich gemächlich fortbewegt, nachdem sich auch die Sonne nur mählich, nicht pfeilschnell wie eine Sternschnuppe am Himmel bewegt. Insofern scheint die Annahme, „das allgegenwärtige Tempo [signalisiere] den Anbruch einer neuen Zeit“ [M.1: 208], eher dem 20./21. Jh. als der Antike abgewonnen zu sein. Oder stammt es doch aus uralter Zeit, wenn Echnaton zu seinem Gott sagt: „Eile ist in jedem Fuß, seit du die Erde gegründet hast“ [Reeves, 164]?

Schädeldeformation

Seltsamerweise sind immer wieder Ägyptologen geneigt, Echnaton wegen seiner Abbildung als einen deformierten Menschen zu sehen; vorgeschlagen werden etwa das Fröhlich- oder das Marfan-Syndrom [M.1: 26], dessen über 25 Symptome alle auf Echnaton zutreffen sollen [Reeves, 173], sofern er im Leben  so ausgesehen hätte, wie er sich darstellen ließ. Diese Annahmen sind einigermaßen unverständlich, gibt es doch von Echnaton auch Darstellungen, insbesondere Plastiken, die ihn als ganz normalen, in keiner Weise missgestalteten Menschen zeigen, wie auch die ihm zugeschriebene Mumie keine anatomischen Auffälligkeiten zeigt [M.2: 122]. Insofern ist gerade die Echnaton-Fratze der frühen Amarna-Zeit eine unbedingt gewollte Darstellungsform. Das sehen die Ägyptologen im Grunde auch so, denn keiner nimmt daran Anstoß, dass dieses erschreckende Gesicht nach ihrer eigenen Datierung das eines Jünglings oder gar eines Kindes sein soll.

Nicht thematisiert wird hingegen in den jüngsten Büchern von Maciejewski, Reeves und Schlögl eine gewollte Schädeldeformation. Doch nichts liegt näher. Die Schädel der Amarna-Kinder dürften wegen eines immer wieder auftretenden Schönheitsideals beidseits des Atlantiks – eine griechische, also in gerader Linie zur Stirn ziehende Nase, die Stirn keineswegs nach gängigem ‘Kindchenschema’ senkrecht, sondern in weiterführender Linie flach nach hinten laufend, der Hinterkopf dadurch abnorm wirkend – mit voller Absicht im Säuglingsalter deformiert worden sein. Als Beispiel dient hier ein Schädel von der Krim [Abb. bei wiki / Schädeldeformation], der vom Aussehen her unmittelbar aus Amarna stammen könnte, aber im 19. Jh. fälschlich den Awaren zugeschrieben worden ist. Tatsächlich stammt er wohl aus der Zeit vor dem +7. Jh., als dieser Brauch von den Hunnen in den Westen gebracht worden ist und zeitweilig bei Franken, Goten, Bajuwaren und Burgundern im Schwange war. Diese übertriebenen Hinterköpfe treten denn auch nur bei den Schädeln der Echnaton-Töchter auf. Kann deshalb der hier gezeigte Echnaton-Schädel tatsächlich von ihm stammen, da es doch er gewesen sein müsste, der in Verbindung mit dem Religionswechsel auch ein neues Schönheitsideal durchsetzte?

Renate Germer stellt bei ihrer Abhandlung zur Mumie aus KV 55 fest: „Es lag auch keine Verformung des Schädels, etwa durch Einschnürung im Kindesalter, vor“ [Grimm/Schoske, 60]. Und selbst wenn es der Schädel von Amenophis III./Echnaton wäre: Erst von ihm ab wurde der mutmaßliche Brauch geübt. Derartige Bräuche ließen sich als Übernahmen aus dem Osten sehen, genauso wie die Inzestbezüge im Herrscherhaus oder die Streitwagen.

Monotheismus – Monolatrie (Henotheismus)

Grob gesprochen wird im Monotheismus nur ein Gott gekannt und verehrt, während bei Monolatrie mehrere Götter akzeptiert werden, aber nur einer (an einem Ort) verehrt wird. Da mittlerweile bekannt ist, dass Echnaton primär den Gott Amun verfolgte, aber andere Heiligtümer unweit von Amarna ungehindert betrieben werden konnten, geht die ägyptologische Meinung heute in Richtung Monolatrie. Schlögl hält auch hier dagegen, sieht er doch  weiterhin einen Monotheismus, nicht zuletzt auch deshalb:

„An ihren Anfängen steht immer ein Stifter – sei es Echnaton, Mose, Zarathustra, Jesus oder Mohammed“ [Schlögl 2008, 61]

Interessanterweise ist Echnatons Religion in Ägypten nicht die erste ihrer Art.

15. Dyn.: Die Hyksos mit ihrer Seth-Verehrung könnten auch schon monolatrisch veranlagt gewesen sein; insbesondere Apophis lässt nur Seth gelten [M.1: 54, auch 248], auch wenn das im gleichen Atemzug dementiert wird.
17. Dyn.: Sein Gegenspieler Sekenenre verehrt nur Amun-Re [M.1: 246]. Somit gab es Vorbilder für den Aton-Kult.
Gottesstaat (Theokratie)

Maciejewski [1: 168; 2: 58] sieht nicht in der ausschließlichen Verehrung des Aton das Wesentliche der Echnaton-Zeit, sondern in der Errichtung eines Gottesstaates, möglicherweise begrenzt auf die 25 km² von Achet-Aton (heute Amarna). Die Bedingungen wie religiös legitimierte Staatsgewalt oder die ‘Exekutive’ in Gestalt eines von Gott erwählten Priesters oder Königs sind erfüllt. Aus dem Pharao wird der erste Prophet und dann Hoher Priester des Aton [M.1, 219], also eine reine Theokratie [M.1, 218 f.].

250 Jahre später errichtet der Hohe Priester Herihor zwischen 20. und 21. Dyn., wohl zur Zeit von Ramses XI., in Theben einen Gottesstaat des Amun [M.1: 28], in dem dieser Gott während der 21. Dyn. als der „einzige wirkliche König Ägyptens“ auftrat [Reeves, 221]. Eduard Meyer hielt diesen Gottesstaat sogar für „theoretisch monotheistisch“ [M.1: 262]. Herihor bezeichnete sich als ersten Propheten des Amun und ließ den Namen des Amun in (Pharaonen-)Kartuschen schreiben [M.1: 220]. Somit hat Amun über Aton gesiegt.

Als dritten bezeugten Gottesstaat sieht Maciejewski [1: 270] den judäischen des -5. Jh.

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Dr. Heribert Illig (mantisillig@gmx.de)

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Chronologie-Rekonstruktion

 
von Andreas Otte

Diese Arbeit behandelt das grundlegende Thema dieser Webseiten und versucht ein paar wichtige Fragen zumindest ansatzweise zu klären. Was ist kritikwürdig an der aktuellen Chronologie? Warum Chronologie-Rekonstruktion? Welche Methoden zur Erstellung einer Chronologie gibt es? Welche davon führen möglicherweise zum Ziel?

Einleitung

Wenn jemand etwas rekonstruieren will, dann impliziert das eigentlich, dass etwas zur Zeit nicht in Ordnung, defekt, verschollen, nicht genau erkennbar ist. Aber unsere Chronologie? Jeder kann sich noch, oftmals mit Grausen, an den Schulgeschichtsuntericht erinnern. Dort wurden teilweise noch bis ins 3. vorchristliche Jahrtausend jahrgenaue Angaben gemacht und das so, als ob diese Angaben völlig sicher seien. Aber sind sie das wirklich? Begeben wir uns auf eine kleine Reise durch die Zeit und greifen uns einige interessante Stellen heraus.

Mesopotamien

Die aktuelle Chronologie Mesopotamiens kennt in der vorhellinistischen Zeit (ab -330) 12 Kulturperioden:

  1. Perser bzw. Marder/Amarder
  2. Chaldäer und Meder
  3. Ninos-Assyrer
  4. Frühchaldäer
  5. Mittelassyrische Amoriter
  6. Kassiten und Mitanni
  7. Altassyrer
  8. Ninevite-5-Keramik
  9. Altbabylonische Martu/Amoriter
  10. Neo-Sumerer und Elamer
  11. Altakkader
  12. Frühsumerer

Die ersten 4 Kulturperioden (datiert ins -1. Jahrtausend) kennen wir aus griechischen Berichten. Die nächsten 4 Schichten (datiert ins -2. Jahrtausend) werden über die ägyptische Chronologie datiert, die restlichen 4 Perioden (datiert ins -3. und frühe -2. Jahrtausend) werden über Hammurabi durch die Bibel datiert.

Neben dieser rein historischen Datierung finden sich im Mesopotamien auch zahlreiche interessante Ausgrabungsstätten. Nirgendwo aber hat man bisher alle 12 Perioden an einem Ort ergraben, eigentlich nie mehr als vier (Subschichten nicht betrachtet). Das hat inzwischen zu einer interessanten Situation geführt: Den vier von den Griechen beschriebenen Kulturperioden wird zum grossen Teil die Existenz abgesprochen. Das Imperium der Perser kann es nicht gegeben haben, denn es fehlen jegliche archäologische Hinweise auf die beschriebenen grossartigen Bauten. Das ist nur konsequent, leidet aber daran, dass die Zuordnung der archäologischen Funde (die man an diesen Orten ja tatsächlich und in grossem Umfang gemacht hat) zu den früheren Kulturen auf rein historischen Argumenten beruht und nicht auf archäologischer Evidenz.

Es wird z.B. folgendermaßen argumentiert: In Assyrien hat man Texte gefunden, in denen ein Sargon die Eroberung Samarias beschreibt. Dieser Fund fand sich in direkter vorhellenistischer Schichtenlage. Auch in der Bibel wird über dieses Ereignis berichtet, für das man das Jahr -721 errechnet hat. Ebenso fand man in direkter vorhellenistischer Schichtenlage Texte eines Nebukadnezars, der biblisch auf -587 datiert wird (Eroberung Jerusalems). Damit bleibt natürlich archäologisch kein Platz für die Perser und ihr Reich.

Ähnliches geschieht auch mit den anderen von den Griechen beschriebenen Imperien. Der erste Großkönig der Bibel, genannt Nimrod, Gründer der Stadt Ninive, wird biblisch über Abraham ins späte -3. Jahrtausend datiert. Er nimmt damit (auch archäologisch) die Stelle des von den Griechen wesentlich später datierten Großkönigs und Ninive-Gründers Ninos ein. Dieser König und sein Reich lassen sich dann natürlich nicht mehr nachweisen. Auch Hammurabi erhält sein Datum im frühen -2. Jahrtausend über den biblischen Abraham.

Die Archäologie akzeptiert hier einfach bibelfundamentalistische Daten und hinterfragt diese nicht, wie es eigentlich ihre Aufgabe wäre. Die archäologische Evidenz besagt nämlich etwas anderes. Gunnar Heinsohn hat die Regeln der Evidenzarchäologie wie folgt definiert:

Liegen zwei Ausgrabungsschichten ohne Hiatus übereinander, dann besteht eine unterbrechungslose historische Verbindung von der unteren zur oberen.
1. Gesetz einer archäologisch fundierten Geschichtsschreibung

Wenn zwei Ruinenstätten über Schichten aus derselben Zeit verfügen, gehören auch die hiatusfrei darunter und darüber anschließenden Schichten gemeinsam in eine Epoche.
2. Gesetz einer archäologisch fundierten Geschichtsschreibung

Betrachten wir nun Ausgrabungen einiger babylonischer oder babylonisch beeinflußter Städte bzw. Tells, z.B. Bismaya, Girsu (Telloh), Der, Mari, Maschkan Schapir, al-Ubaid und Hazor. Die reichsten Funde liegen direkt unterhalb der hellenistischen (bzw. parthischen) Schicht, wobei diese Schicht in die hellenistische Schicht fließend übergeht, Wehschichten (die für eine Besiedlungslücke sprechen würden) also fehlen. Trotzdem werden diese Schichten dem über Abraham ins -2. Jahrtausend datierten Hammurabi zugeordnet, die dazwischenliegende Perserzeit geht leer aus. Die Hammurabi-Zuordnung ist vermutlich korrekt, die konventionelle Datierung Hammurabis ist jedoch archäologisch widerlegt, denn wenn die Hammurabi-Schicht direkt in die hellinistische Schicht ohne Wehschicht übergeht, dann können keine 1500 Jahre zwischen diesen beiden Schichten liegen, sie müssen direkt aufe
inanderfolgen. Und damit bekommen auch die Perser ihre Schichten wieder, fragt sich nur wer Hammurabi war. Aber auch für diese Frage gibt es eine Antwort. Hammurabi war Perser und es gibt einen der ebenfalls Gesetze in Stein meisseln ließ. Ebenso liegen die Schichten der Mittelassyrer direkt unter der hellenistischen Schicht (z.B. Hamadiyah). Auch die Schichten der sargonidischen Assyrer liegen direkt unter dem Hellenismus (z.B. in Nimrud und Hama).

Schichten der Mitanni liegen unter den mittelassyrischen Schichten. Nach konventioneller Datierung müssten sie über altbabylonischen Schichten liegen. Diese liegen aber direkt unter oder gleichauf mit hellenistischen. Dieses Durcheinander resultiert aus der Tatsache, dass die Mitanni ihr Datum über die Amarna-Korrespondenz aus Ägypten erhalten haben, wärend die babylonischen über Hammurabi und damit Abraham bzw. die Bibel datiert wurden. Stratigraphisch sind die Mitanni die Vorgänger der Perser, bei den Griechen Meder genannt.

Direkt unter den Mitanni bzw. ihrer Periode liegen in Syrien, Palästina und Ägypten die Schichten der Hyksos (Fremdherrscher in Ägypten), eines Volkes, dessen Identität mehr als nur umstritten ist. In Mesopotamien findet man unter den Mitanni-Schichten (Billa, Brak, Chagar Bazar, Hamadiyah, Munbaqa, Nuzi, etc.) die Schichten der Altakkader. Die konventionelle Chronologie läßt zwischen beiden eine Lücke von 700 Jahren, ohne dass diese Lücke archäologisch nachweisbar wäre. Diese Lücke ist wiederum den unterschiedlichen Datierungssystemen (biblisch bzw. ägyptisch) geschuldet. Archäologisch betrachtet sind die Altakkader die direkten Vorgänger der Meder bzw. Mitanni, die in der griechichen Überlieferung als ersten großes Reich der Weltgeschichte erinnert werden. Daraus ergibt sich Ninos=Naramsin=Nimrod und die Hyksos sind niemand anderes als die Altakkader.

Die Schichten der Sumerer (Ur III) in Südmesopotamien liegen direkt über denen der Altakkader wie dieses die Schichten der Mitanni in Nordmesopotamien tun, sie werden damit zu deren Zeitgenossen. Nach der griechischen Überlieferung sind die Zeitgenossen der Mitanni in Südmesoptamien die Chaldäer, die numehr als Sumerer identifiziert werden können.

In der herrschenden Lehre werden also offensichtlich drei unterschiedliche Datierungssysteme auf Schichten angewendet, die in unterschiedlichen Ruinenstätten auf der selben stratigraphischen Tiefe liegen. Dadurch vervielfachen sich die Epochen und gehen einige dieser Epochen dann anschließend archäologisch leer aus. Stratigraphisch ergibt sich stattdessen:

  1. Perser bzw. Marder/Amarder Kyros des Gr. = Mittelassyrische Amoriter = Altbabylonische Martu
  2. Chaldäer und Meder = Mitanni/Kassiten = Neo-Sumerer
  3. Ninos-Assyrer = Hyksos = Altakkader = Altassyrer

Und so lösen sich viele weitere Merkürdigkeiten, rätselhafte Wiederbelebungen von Kulturen, Verdoppelungen von Lebensviten, usw. Brisant ist zudem, dass Abraham inzwischen seine Geschichtlichkeit und damit auch sein Datum verloren hat, dieses jedoch chronologisch ohne Folgen geblieben ist. Weitere Details finden sich in [Heinsohn 1996].

Ägypten

Ägypten behauptet von sich, eine der ältesten Hochkulturen zu sein. Herodot berichtet, dass ägyptische Priester behaupteten, zwischen ihnen und dem ersten ägyptischen König lägen 341 Menschenalter, die mit elftausenddreihundertvierzig Jahren gleichgesetzt wurden. Fragmentarisch und in widersprüchlichen Abschriften ist uns außerdem das Werk des Priesters und Tempelschreibers Manetho erhalten, der um -280 nach konventioneller Chronologie alle Pharaonen ab dem Reichsgründer Menes zu 30 Dynastien und 3 Reichen zusammenfasste und kommentierte. Diese Liste ergibt je nach Überlieferung aus dritter bis fünfter Hand nur eine Dauer von 4500 – 5500 Jahren. Diese Angaben wirken aber immer noch gestreckt, da offensichtlich Regierungszeiten künstlich verlängert wurden, um Menes mit dem biblischen Adam zeitlich gleichzusetzen.

Königsnamen finden sich auch auf zahlreichen Monumenten in Ägypten, eine gewisse Schnittmenge mit Königsnamen auf sogenannten Manetho-Listen existiert. Aber die Übereinstimmung ist nur teilweise. Für unbedeutende Dynastien werden bei Manetho erstaunlich viele Namen überliefert, andere genügen nicht einmal der Definition einer Dynastie. Trotzdem hat sich ein Wissenschaftszweig herausgebildet, der versucht, über diese Listen die ägyptische Geschichte zu datieren.

Eine zweite, in der Ägyptologie verwendete Datierungsmethode, ist die Sothis-Datierung. Diese basiert auf römischen Angaben über den ägyptischen Kalender, der von 365 Tagen im Jahr ohne Schalttag ausgeht und einen Jahresbeginn zum 1. Tag des Monats Thot vorsieht, wenn der Stern Sirius aufgeht. Durch den fehlenden Schalttag verschiebt sich der kalendarische Jahresanfang des ägyptischen Jahres aber alle 4 Jahre um ca. 1 Tag um nach etwa 1460 Jahren wieder am „richtigen“ Tag zu landen. Aus den römischen Angaben wissen wir auch das im Jahre 139 AD eine solche Sothisperiode begonnen haben soll.

Aus diesen Angaben wurde geschlossen, dass erstens die Ägypter schon immer in Sothisperioden gerechnet und das zweitens diese Rechnung exakt zu Beginn einer solchen 1460 Jahre Periode begonnen haben müsse. Es ergeben sich zwanglos -1321, -2781, -4241 oder -5701 als mögliche Zeitpunkte für die Einführung der Sothisrechnung. Diese Angaben wurden später geringfügig korrigiert, da aufgrund astronomischer Erkenntnisse (Eigenbewegung des Sirius, Präzession ) und des unbekannten Beobachtungspunktes des Siriusaufganges Platz für Interpretationen des Datums gegeben ist.

In diese, durch die Sothisrechnung aufgespannte Zeitrechnung wurden nun die Manetho-Pharaonen einsortiert. Das ist nicht unproblematisch, da es kaum (ca. 5) Sothisdatierungen gibt und die meisten, wenn nicht alle, keiner genauen Betrachtung standhalten. Insbesondere der Payrus Ebers, auf dem früher die meisten Rechnungen beruhten, geht von einem 360 Tage Jahr aus, welches die Sothis-Rechnung komplett über den Haufen wirft. Trotzdem ist aus diesen dürftigen Daten eine Ärarechnung für die gesamte ägyptische Geschicht erzeugt worden. Andere aus der ägyptischen Geschichte bekannte Äraangaben haben dagegen nicht dazu geführt, dass gleich ein jahrtausende lang gültiger Kalender postuliert wurde.

Über die Sothis-Datierung der Armarna-Korrespondez haben damals die Mitanni in Mesopotamien ihre absolute Datierung erhalten. Inzwischen wurden aber die Sothis-Daten, die zu dieser Datierung geführt haben, stillschweigend unter den Teppich gekehrt, da sie einer genaueren Betrachtung nicht standhielten. In dieser Situation erinnerte sich die Ägyptologie der assyrischen Chronologie und datierte (nun in der umgekehrten Richtung) die ägyptischen Pharaonen über die Armana-Korrespondenz mit den „absolut“ datierten Assyrern. Ganz überraschend passten diese Daten gut zusammen, was befriedigt zur Kenntnis genommen wurde. Dass vorher die Assyrer über die ägyptische Sothis-Datierung absolut datiert wurden, wird natürlich nicht erwähnt. Es ergibt sich ein in sich stimmiges Gebäude, welches aber völlig frei in der Luft schwebt.

Auch hier läßt sich wieder beobachten, dass sich die Archäologie der vorgegebenen Chronologie beugt. Wie auch in Mesopotamien reicht die Fundlage bei weitem nicht aus für die veranschlagten Zeiträume. Die konventionelle Chronologie führt zu Leerräumen, Ungereimtheiten und Widersprüchen. Egal ob man Gewölbebau, Glasherstellung, Pyramidenbau, Schiffbau, Landwirtschaft, etc. betrachtet, immer ergibt sich eine Entwicklungslinie, die typologisch und entwicklungsgeschichtlich widersinnig ist. Statt die Chronologie in Frage zu stellen, werden die unmöglichsten Erklärungsversuche ersonnen. Weitere Details zu dieser Situation finden sich in [Heinsohn, Illig 2001].

Griechenland

Die auf Luft gebaute ägyptische Chronologie hatte in Griechenland verheerende Auswirkungen. Durch Querdatierungen, d.h. ägyptische Funde in Griechenland, die Rückschlüsse auf Pharaonen und damit auf absolute Sothisdaten zuliessen, wurden die griechischen Schichten absolut datiert. Das führte dazu, dass mykenische und minoische Schichten ins -2. Jahrtausend datiert wurden, direkt und ohne Wehschicht darüber liegende archaische Schichten aber ins -1. Jahrtausend. Die dazwischen liegende Zeit von ca. 400 Jahren macht nun erhebliche Probleme. Einerseits fehlen Funde für diese Jahrhunderte. Also muss man annnehmen, dass die Bevölkerung nahezu vollständig ausgerottet wurde, kein Steinbau mehr möglich war und eine vollständige Verarmung vorlag. Andererseits gibt es eine klare Kult- und Fertigkeits-Kontinuität über diese dunklen Jahrhunderte hinweg. Man muss sich fr
agen, wie ein solcher Transfer ohne Menschen möglich gewesen ist, und welcher Bautrupp die Wehschicht nach 400 Jahren wieder rückstandslos entfernt hat.

Klassisches Beispiel ist auch der Fall Troias, der konventionell auf ca. -1200 datiert wird. Erst um -730 soll Homer diese Geschichte besungen haben und dass in einer so lebendigen Form, dass man fast glauben kann, er wäre dabei gewesen. Wie hat Homer diese fast 500 Jahre alten Erinnerungen anzapfen können, wenn es in dieser Zeit in Griechenland keine Menschen und keine Schriften gegeben hat? Wenn es die dunklen Jahrhunderte nicht gegeben hat, die nur der ägyptischen Chronologie geschuldet sind, dann klärt sich die Fundarmut, dann klärt sich die Kultkontinuität und alles weitere. Weitere Details zu dieser Situation finden sich in [Heinsohn, Illig 2001].

Aber auch die Olympiadenzählung ab -776 scheint nicht so festgefügt, wie es uns die griechischen Überlieferungen glauben machen wollen. Archäologische Funde in Olympia zeigen, dass die Spiele erst etwa zeitgleich mit den anderen Spielen, also etwa ab -580 begonnen haben. Hier wurde die Historie in der Überlieferung künstlich verlängert. Details hierzu finden sich bei [Peiser 1993].

Italien

Historische Kenntnisse aus der Frühzeit Roms stammen überwiegend aus den Berichten des Titus Livius (ab urbe condita). Dieses Werk beschreibt, in den uns erhalten gebliebenen Teilen, die Königszeit sowie die frühe Republik. Livius selbst verwendet die Zeitrechnung a.u.c. nur selten, nämlich zur Kennzeichnung der Epochen der römischen Geschichte. Die römische Geschichte wirkt merkwürdig verdoppelt, nahezu jede Eroberung wird im -1. Jahrhundert wiederholt, ungeachtet aller vorherigen Kriege.

Andererseits zieht sich das „Siechtum“ der Etrusker und anderer italienischer Völkerstämme über Jahrhunderte hin. Selbst in unmittelbarer Nähe Roms, welches zu Beginn des -1. Jahrhunderts nach eigenen Berichten bereits unumschränkter Herrscher des Appenin sein soll, können Kulturen weiterexistieren, so als ob es eine alles überstrahlende Macht in dieser Region nicht gibt. Gut belegbar ist dieses an Pompeji, dessen samnitische/oskische Kultur selbst noch bis zur Zeitenwende gut nachweisbar ist.

Nach römischen Berichten kämpfte man schon früh in Nordafrika und Ägypten um die wichtigen Kornkammern. Warum aber Norditalien als Narungsmittellieferant ignoriert wurde, bleibt unverständlich.

Archäologische Funde aus der Frühzeit Roms sind kaum auffindbar. Dieses gilt genauso für die Etrusker. Auch deren Geschichte, besonders deren Niedergang wird gestreckt. Römische Geschichte wird in sich stimmiger, wenn man ca. 200 Jahre streicht. Das gilt im übrigen auch für mit den Römern verbundene Kulturen dieses Zeitabschnittes, also z.B. Vorderasien und Griechenland. Im jüdischen Kulturkreis schweigen die Quellen während dieser Zeit ebenfalls.

Details finden sich bei [Illig 1994,1995] und [Albrecht 1995].

Das frühe Mittelalter

Auch die normale Geschichtswissenschaft bezeichnet den Zeitabschnitt zwischen 500 und 1000 als ein „dunkles Zeitalter“. Dieser Zeitraum ist gekennzeichnet durch:

  • Ein Versiegen von Schriftquellen und Literatur
  • Ein Stillstand der Bautätigkeit
  • Ein Fehlen archäologischer Funde
  • Eine totale Verarmung der Bevölkerung

Ein Lichtstrahl in dieser Zeit, zumindest in Westeuropa, ist Karl der Große. Aber sofort danach versinkt dieses Zeitalter wieder in der Dunkelheit. Wahrhaft unglaubliches wird uns von Karl dem Großen und seiner Zeit berichtet. Er war Jurist, Ethonologe, Germanist, Gelehrter, Kunstliebhaber und Theologe. Er war ein guter Schwimmer und Reiter, reiste unendwegt durch sein Reich, eine Strecke, die je nach Berechnung zwei bis vier mal um den Äquator reicht. Selbstverständlich konnte er lesen und schreiben, lateinisch und deutsch. Er hatte mit zehn Frauen (mit vier verheiratet) achzehn Kinder. Deren Namen sind uns allerdings nicht alle überliefert. Die Zeit der Herrschaft Karls ist eine Zeit des Aufschwungs und der Blüte. Fast die ganze Zeit wurde aber auch Krieg geführt. Karl der Große und seine Zeit wirken wie ein Kunstprodukt.

Ein anderes Phänomen des frühen Mittelalters (aber nicht exklusiv) sind die sogenannten antizipatorischen Fälschungen. Das sind inzwischen als Fälschungen erkannte Urkunden, die zu ihrem angeblichen Entstehungszeitpunkt zunächst keine Wirkung entfalteten, im Prinzip also auf eine spätere Zeit zugeschnitten waren, Fälschung auf Vorrat sozusagen. Das klingt unsinnig, und das ist es auch. Dieses gilt oftmals auch für heute noch nicht als Fälschungen erkannte Urkunden (deren Anzahl allerdings stetig schmilzt). Besitzurkunden vor dem 12. Jahrhundert sind ebenfalls antizipatorisch, denn vor dem Wormser Konkordat von 1122 waren sie rechtlich gesehen sinnlos. Nach 1122 wurden dann plötzlich viele, mehrere hundert Jahre alte Besitzurkunden in Klöstern und Schreibstuben „gefunden“.

Die Berichte, die aus dem und über das frühe Mittelalter vorliegen, haben dazu geführt, dass der Beginn der Verschriftlichung in diese Zeit zurückverlegt wurde und ebenso zahlreiche Technologien in diese Zeit zurückdatiert wurden. Das führt nun dazu, dass Techniken, kunsthistorische Stile und Kultur nach dem frühen Mittelalter mühsam neu erlernt werden mussten, da sie offensichtlich zunächst wieder verloren gegangen sind.

Aus archäologischer Sicht ist das frühe Mittelalter eine Zeit ohne Handel, ohne Wirtschaft, ohne Häuser, eigentlich eine Zeit ohne Leben. Sie existiert nur auf dem Papier.

Eine Streichung eines Zeitabschnittes im frühen Mittelalter, so erschreckend dieses auch sein mag, glaubte man sich doch spätestens seit der Römerzeit auf chronologisch sicherem Boden, macht Sinn und stellt auch hier wieder Technik- und Kultkontiunität her. Details zu dieser These finden sich in [Illig 1996], in der Phantomzeitthese und zahllosen weiteren Büchern und Zeitschriftenartikeln.

Chronologie-Kritik

Wenn man diese Merkwürdigkeiten betrachtet, dann kann es einen nicht verwundern, dass unsere konventionelle Chronologie Kritik auf sich gezogen hat. Und dabei ist dieses nur ein Ausschnitt der Probleme.

Wie ist das Grundgerüst unserer heutigen Chronologie entstanden? Festgeschrieben wurde unsere Chronologie im wesentlichen mit den Werken De emendatione temporum (1583) und Thesaurus temporum (1606) von Joseph Justus Scaliger (1540 -1609), d.h. erst im 16./17. Jahrhundert, im wesentlichen nach der Kalenderreform von Papst Gregor (1582). Davor liegende Geschichtswerke gehen zurück bis ins 10. Jahrhundert, jedoch ist die Authentizität dieser Werke in vielen Fällen mehr als fraglich.

Seitdem ist dieses chronologische Grundgerüst mehr oder minder unverändert geblieben und es kann nur seltsam anmuten, dass Scaliger gleich alles richtig gemacht hat, ganz ohne Quellenkritik, Archäologie, naturwissenschaftliche Methoden, etc.

Die konventionelle Chronologie gilt als Dogma der Geisteswissenschaften, über fast alles kann man innerhalb der Geschichte kontrovers diskutieren, nicht jedoch über die Plazierung der Ereignisse und Herrscher auf der Zeitskala. Etwa ab 1000 BC gilt diese als unumstößlich, quasi heilig.

Konsequenzen

Das heißt also nichts anderes, als dass unsere aktuelle Chronologie sehr fraglich ist. Die Antwort auf die Frage, wie genau, wie gut, die aktuelle Chronologie das trifft, was und wann wirklich geschehen ist, kann nur lauten: „Nicht gut!“. Aus diesem Scherbenhaufen der Kritik führt naturgemäß der Weg hin zum Versuch einer Erneuerung, einer Rekonstruktion der wirklichen Chronologie. Über weite Strecken äußert sich diese Rekonstruktion so, dass Phantomzeiten gestrichen werden müssen, Zeiten gekürzt und bekannte Geschichte im Prinzip erst mit dem Anfang des -1. Jahrtausend beginnt. Dagegen scheinen auf den ersten Blick naturwissenschaftliche Datierungsmethoden (C14, Dendrochronologie, usw.) zu sprechen, wie auch astronomische Berechnungen. In diesem Text werden wir nur kurz darauf eingehen (für Details siehe Naturwissenschaftliche Datierungsmethoden), aber wenn man die Grundlagen dieser Methoden im Detail analysiert, dann verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit erschreckend schnell.

Eine kurze Geschichte der Chronologie-Kritik

Wenig bekannt ist, dass die konventionelle Geschichtskonstruktion immer wieder von einzelnen angegriffen wurde, so z.B. recht früh in The Chronology of Ancient Kingdoms Amended (1728) von Isaac Newton. Ein anderer Kritiker aus dieser Zeit war Jean Hardouin (1646-1729). Im Gegensatz zu Newton trat er aber nicht einfach für eine Kürzung der Chronologie ein, sondern vertrat die Meinung, dass die Chronologie mehr oder minder vollständig gefälscht sei, und dass alle historischen Funde, seinen es Bücher, Berichte, Kunstwerke, Bodenfunde, etc., wesentlich jüngeren Datums, mithin falsch datiert oder Fälschungen seien.

Mit diesen ersten beiden Vertretern sind bereits die zwei grundsätzlichen Wege der Chronologie-Kritik aufgezeigt. Einerseits wird an der Struktur der Scaliger-Chronologie im Prinzip festgehalten. Es werden Kürzungen vorgenommen, Personen zusammengelegt und gestrichen, Fälschungen und Fehldatierungen aufgezeigt. Die zweite Schule stellt die Scaliger-Chronologie komplett in Frage und betrachtet sie als komplette Fälschung (sei es nun absichtlich oder nicht). Als Konsequenz dieser Sicht ist nicht mal im Prinzip bekannt, was vor dem 16. Jahrhundert geschehen ist.

Der wesentliche Vertreter der ersten Schule zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts war Immanuel Velikovsky (1895-1979). Sein Ansatz basierte auf psychoanalytischen, katastrophistischen und archäologischen Ansätzen. Über diesen Weg spürte er Inkonsistenzen in den Chronologien zwischen Ägypten, Israel und Griechenland auf. Als Bibelfundamentalist stellte er jedoch die Chronologie der Bibel nicht in Frage, dennoch ist seine Arbeit wegweisend gewesen. In Folge seines Wirkens entstanden in (West-)Europa und Amerika Gruppen, die unterschiedliche Aspekte des Wirkens Velikovskys weiterentwickelten. Im englischen Sprachraum ist dieses mehr der katastrophistisch, mythische Aspekt, im Deutschen eher der chronologisch und anfänglich auch der psychoanalytische Aspekt.

In Deutschland war Gunnar Heinsohn 1978 der erste, der mit einem Artikel über die Thesen Velikovskys die soziologischen Fragestellungen aufgriff, erschienen im Freibeuter, einer in Berlin verlegten Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik. In der Folge wurde 1982 der Verein GRMNG (Gesellschaft zur Rekonstruktion der Menschheits- und Naturgeschichte) gegründet, der sechs Jahre lang existierte. Zu den Gründungsmitgliedern der GRMNG gehörte auch Christoph Marx, der unter anderem zwei Bücher Velikovskys ins Deutsche übersetzte und in einem eigenen Verlag (P.A.F.) von 1982 bis 1988 sechzehn sogenannte Quarthefte für die GRMNG herausgab, auch GRMNG-Bulletins genannt. Veröffentlichungen wurden in Buchform im Eichborn Verlag bis 1991 fortgeführt und als eigenständige Zeitschrift „Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart“ im Mantis-Verlag, der von Heribert Illig gegründet wurde, einem der GRMNG Vereinsmitglieder. Seit 1989 trifft sich die Gruppierung in sogenannten Jahrestreffen zum direkten Austausch über chronologische Themen. 1995 wurde die Zeitschrift „Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart“ in „Zeitensprünge“ umgetauft, eine Konzentration auf chronologische Aspekte ist unübersehbar, Ägypten und Mesopotamien in der Anfangsphase, ab 1991 die Mittelalter-Phantomzeitthese.

Wesentliche Vertreter der zweiten Schule waren Anfang des 20. Jahunderts Robert Baldouf, Wilhelm Kammeyer und auch (mit Abstrichen) Nikolai Morozov. Seit 1973 führt Anatoly T. Fomenko mit einer Gruppe von Mitarbeitern in Moskau textkritische Analysen durch, die mit statistischen Mitteln gezeigt haben, dass es starke Ähnlichkeiten zwischen der aufgeschriebenen Geschichte unterschiedlicher Vöker zu unterschiedlichen Zeiten gibt, was den Fälschungsverdacht im Mittelalter nahelegt. Im deutschen Sprachraum wird diese Schiene, seit ihrem bekanntwerden ca. 1995, heute hauptsächlich durch Uwe Topper, Eugen Gabowitsch und Christoph Pfister vertreten.

Chronologie-Rekonstruktion

Von der Kritik führt der Weg zur Rekonstruktion, d.h. zu dem Versuch, herauszubekommen, was und wann wirklich etwas in unserer Vergangenheit geschehen ist. Es geht also letztlich darum, eine neue Chronologie zu erstellen.

Methoden der Chronologie-Erstellung

Welche Methoden zur Erstellung einer Chronologie gibt es?

Stratigraphie
Stratigraphie bedeutet Schichtschreibung. Vergangene Zeitalter haben Spuren im Boden hinterlassen, die schichtweise Zeiten zugeordnet werden können. Im wesentlichen beruht die Stratigraphie auf der Annahme, dass eine untere Aussgrabungsschicht ältere historische Phasen repräsentiert als die darüberliegende.
Typologie
Die Typologie beruht auf der Annahme einer zunehmenden Kunstfertigkeit bei der Herstellung von Artefakten, welche über Ähnlichkeiten (technische Merkmale, Form, Dekorationsstil) in eine zeitliche Abfolge gebracht werden.
Naturwissenschaftliche Datierung
Die naturwissenschaftlichen Datierungsmethoden beruhen auf unterschiedlichsten technischen Verfahren, denen gemeinsam ist, dass sie eine Probe über ein messbares Merkmal in einen definierten Gesamtzusammenhang stellen und damit zeitlich einsortierbar machen. Bekannteste Beispiele dieser Methodik sind C14 und Dendrochronologie.
Historie
Die historische Methode beruht auf bestimmten literarischen Erzeugnissen, die eine Abfolge von Ereignissen in einen zeitlichen Kontext stellen.

Natürlich werden diese Methoden auch in Kombination verwendet, wobei es je nach Wissenschaftler und Fachgebiet Geschmackssache ist, welcher Methode im Fall von Konflikten (und die gibt es eigentlich immer) der Vortritt gelassen wird.

Relative Chronologie

Eine relative Chronologie kennt das Nacheinander von Geschehnissen, kennt aber weder deren absolute Daten noch die genauen Abstände zwischen Geschehnissen.

Typische Methoden der Erstellung einer relativen Chronologie sind Stratigraphie und Typologie. Die Stratigraphie bietet insgesamt die größte Sicherheit bei der Erstellung einer Chronologie, denn die Schichtenfolge einer Ausgrabung bietet ein klares Nacheinander. Störungen der Abfolge, z.B. durch Begräbnisse, Abfallgruben, oder ähnliches sind gut erkennbar.

Auch die Typologie bietet oftmals ein gutes Nacheinander, sie beruht aber auf der Annahme einer stetigen Zunahme der Fähigkeiten bei der Herstellung von Gegenständen. Unter normalen Umständen ist dieses eine durchaus akzeptable Annahme, jedoch können durch Katastrophen Wissen und Fertigkeiten verschwinden, die erst wieder erlernt werden müssen. Hier kann aber die Stratigraphie helfen, Katastrophen zu erkennen.

Querdatierungen sind über eine Kombination aus Stratigraphie und Typologie möglich, indem Funde einer anderen Kultur in den Schichten gefunden werden und damit über Identitäten mit anderen Funden und typologischen Vergleichen eingeordnet werden können.

Absolute Chronologie

Eine absolute Chronologie kennt absolute Daten der Geschehnisse in einer vorgegebenen Zeitrechnung, damit natürlich auch das relative Nacheinander. Aber die absolute Chronologie setzt höhere Maßstäbe an. Sie will die genauen Jahre möglichst zuverlässig kennen, in denen Geschehnisse abgelaufen sind. Aber ist das überhaupt möglich?

Um dieses leisten zu können, setzt die absolute Chronologie einerseits auf naturwissenschaftliche Datierungsmethoden, wie z.B. C14 oder Dendrochronologie. Diese Methoden und ihre Ergebnisse sind heutzutage allgemein anerkannt, aber wie sicher sind ihre Ergebnisse und wie sicher sind die methodischen Grundlagen? Es gibt erhebliche und begründete Zweifel an der generellen Einsetzbarkeit dieser Methoden und an der Genauigkeit ihrer Ergebnisse. Details dazu finden sich im Grundlagenartikel über naturwissenschaftliche Datierungsmethoden.

Andererseits verwendet man für die Erstellung einer absoluten Chronologie die historische Methode und damit literarische Erzeugnisse, Urkunden, etc. die Datierungen enthalten oder Kreuzverweise anderer Art, die eine genaue zeitliche Einordnung erlauben. Problematisch ist dabei insbesondere die leichte Fälschbarkeit von Urkunden und Geschichtswerken, Stichwort: „Siegerhistorie“ und ähnliches. Immer mehr Dokumente werden daher als Fälschungen erkannt. Das mindert den Wert dieser Methode erheblich.

Verweise auf Sonnenfinsternisse in historischen Dokumenten sind beliebte Möglichkeiten der Datierung historischer Texte, denn sie lassen sich nachrechnen und ergeben damit mögliche Zuordnungszeitpunkte für die Geschehnisse eines Textes. Aber auch hier muss man aufpassen, dass man nicht Fälschungen mit Rückrechnungen aufsitzt. Oftmals ist festzustellen, dass gerade die Angaben in mittelalterlichen Quellen nicht genau mit unseren Rückrechnungen übereinstimmen, die Abweichungen betragen Tage, Wochen oder sogar Jahre, sind in ihrer dargestellten Form an dem Ort so nicht sichtbar gewesen, usw. Andererseits sind gelegentlich historische Ereignisse über beschriebene Sonnenfinsternisse durch Rückrechnung erst datiert worden, was heute nicht mehr bekannt ist oder verdrängt wird. Heute neu durchgefürte Rückrechnungen bestätigen diese Datierung dann wundersamerweise. Abschließend ist zu sagen, dass oftmals mehrere Sonnenfinsternisse als Datierungsmöglichkeit bereitstehen, die getroffene Auswahl daher eher als zufällig bezeichnet werden muss.

Konsequenzen

Betrachtet man also, welche Möglichkeiten der Datierung wir haben und wie zuverlässig diese sind, dann bleibt eigentlich nur (und so unbefriedigend das zunächst ist) eine relative Chronologie, basierend auf der stratigraphischen Methode. Typologie ist ebenfalls noch gut geeignet, diese Ergebnisse abzustützen und zu erweitern. Erst danach und mit weitem Abstand und nur wenn sie den bisherigen Ergebnissen nicht widersprechen, kann man auch Ergebnisse der historischen Methode verwenden. Bisherige naturwissenschaftliche Methoden muss man aus methodischen Gründen ablehnen, ihre Gründung im Aktualismus macht sie für eine Betrachtung der Vergangenheit ungeeignet.

Es ist also Aufgabe der Archäologie endlich den Platz einzunehmen, der ihr gebührt. Sie braucht nicht nur Hilfswissenschaft zu sein, die nur dann verwendet wird, wenn es keine historischen Dokumente gibt, die dann zurücktreten muss, wenn ihre Ergebnisse den historischen Dokumenten widersprechen. Sie muss sich aber auch von dem Ziel trennen können, absolut datieren zu wollen und immer gleich die aktuelle Chronologie bei Datierungen im Hinterkopf zu haben. Was diese Chronologie wert ist, war ja oben zu sehen.

Man kann eigentlich nur von Vorne beginnen und aus gesicherten stratigraphischen Erkenntnissen eine neue relative Chronologie aufbauen. An dieser Chronologie müssen sich dann alle weiteren typologischen und historischen Erkenntnisse messen lassen.

Literatur

Albrecht, Gisela (1995) : „Livius und die frühe römische Republik“, in Zeitensprünge 7 (3) 222-246
Heinsohn, Gunnar (2001) : „Karl der Einfältige (898/911-923). Ist er mit Carolus-Münzen und KRLS-Monogrammen lediglich ein nichtswürdiger Imitator Großkarls oder liefert er das Urmuster für den Urimperator und die restlichen frühmittelalterlichen Karls-Kaiser?“ in Zeitensprünge 13 (4) 631-661
Heinsohn, Gunnar und Illig, Heribert (2001), Wann lebten die Pharaonen? Archäologische und technologische Grundlagen für eine Neuschreibung der Geschichte Ägyptens und der übrigen Welt, 4. Auflage, Gräfelfing
Heinsohn, Gunnar (1996) : Assyrerkönige gleich Perserherrscher! Die Assyrienfunde bestätigen das Achämenidenreich, Gräfelfing
Illig, Heribert und Siepe, Franz (2003) : „Probleme konventioneller Datierungsmethoden“, in Zeitensprünge 15 (2) 244-251
Illig, Heribert (2002) : Das erfundene Mittelalter. Hat Karl der Große je gelebt?, 6. Auflage, München
Illig, Heribert (1995) : „Rom bis Athen, was bleibt bestehen?“, in Zeitensprünge 7 (3) 269-287
Illig, Heribert (1994) : „Verliert Italien sogar drei ‚dark ages‘?“, in Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart 6 (3) 32-49
Peiser, Benny Josef (1993), Das Dunkle Zeitalter Olympias. Kritische Untersuchung der archäologischen und naturgeschichtlichen Probleme der griechischen Achsenzeit am Beispiel der antiken Olympischen Spiele, 1. Auflage, Frankfurt am Main

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Chronologie-Rekonstruktion

 

Wieso Chronologie-Rekonstruktion? Was gibt es da zu rekonstruieren? Ist da etwas zu kritisieren, zu reparieren, zu korrigieren an unserer Chronologie? Es gibt tatsächlich Menschen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen und die diese Fragen mit einem entschiedenen „Ja!“ beantworten.

Indizien für Fehler in unserer Chronologie gibt es genug. Und wir reden hier nicht über Kleinkram. Es geht nicht um einige wenige Jahre, es geht in Summe um Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende.

Wie sehen nun diese Indizien aus? Am treffendsten formuliert wurde die Situation einmal im Untertitel eines Buches: „Bauten, Funde und Schriften im Widerstreit!“. Wenn man die Archäologie nicht als Hilfswissenschaft betrachtet, sondern ernst nimmt, dann zeigt sich, dass nahezu überall die Funde im Boden in irgendeiner Form im Widerspruch zu schriftlichen Überlieferungen stehen:

  • Die schriftliche Überlieferung erbringt Datierungen und erfordert Zeiträume, für die nicht genügend Funde vorliegen.
  • Die schriftliche Überlieferung fordert ein Zeitalter, aber es läßt sich im Boden nicht nachweisen.
  • Die schriftliche Überlieferung einer Kultur reißt in anderen Kulturen, die in Abhängigkeit zu dieser Überlieferung datiert wurden, dunkle Zeitalter auf, d.h. Zeitalter für die es vor Ort weder Überlieferungen noch Funde gibt, nicht einmal Hinweise auf vergangene Zeit.

Wer diesen Problemen systematisch nachgeht, der kommt unweigerlich zu dem Schluss, dass etwas mit unserer etablierten Chronologie nicht in Ordnung ist.

Wesentliche Schauplätze dieser Verwerfungen in unserer Chronologie sind:

Ägypten
Die aktuelle ägyptische Chronologie wurde über Königslisten und astronomische Annahmen (Sothis) konstruiert und steht in einem erheblichen Widerspruch zur Fundsituation, technologischen und kulturellen Entwicklungen.
Mesopotamien
Die aktuelle Chronologie Mesopotamiens ist einerseits durch die ägyptische Chronologie, andererseits durch Bibel-Daten beeinflusst (Abraham-Datum). Dieses führte zu einer Aufspannung gewaltiger Zeiträume, die mit Imperien durch Vervielfachung tradierter Erzählungen aufgefüllt wurden. Natürlich ist die Fundsituation für diese Zeiträme zu gering und widerspricht zudem der Chronologie, denn oft gehen Schichten direkt ineinander über oder liegen direkt übereinander (ohne „sterile“ Zwischenschichten, die bei einer Besiedlungslücke zu erwarten wäre). Die aktuelle Chronologie setzt dagegen teilweise einen Abstand von mehreren hundert Jahren an.
Griechenland
Auch in Griechenland reißt die ägyptische Chronologie (durch Cross-Dating) tiefe Lücken in die Zeitabläufe. Für das dunkle Zeitalter Griechenlands gibt es keine Anzeichen im Boden (keine Anzeichen einer Besiedlungslücke) und man fragt sich, wie die beobachtete Kultur- und Technikkontinuität möglich ist. Auch die olympische Zeitrechnung muss bezweifelt werden.
Italien
Die italienische Geschichte enthält ebenfalls einige dunkle Zeitalter, besonders die Zeit der ersten Republik scheint betroffen. Kronzeuge ist wieder die bestechende Fundarmut.
Das frühe Mittelalter
Hier gibt es unterschiedliche Ansätze. Eine Gruppe hält die Geschichte des gesamten Mittelalter vor ca. 1600 für komplett erfunden, die anderen sehen konserativer nur einen Teil dieses Zeitraumes als fiktiv an. Dieser Bereich der Chronologie-Kritik hat sicherlich die größte publizistische Aufwerksamkeit (und demzufolge auch Gegenargumente) erhalten, bewegt er sich doch in einem für „sicher“ gehaltenen Zeitabschnitt und trifft unter anderem „Lichtgestalten“ wie Karl den Großen, die aus der Geschichte gestrichen werden müssen. Zentrales Argument ist auch hier wieder die bau- und kunsthistorische Entwicklung, sowie die erbärmliche archäologische Fundsituation, die anscheinend in einem eklatanten Widerspruch zu Berichten und Urkunden steht. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Urkunden und Berichte hat sich jedoch inzwischen (auch nach herrschender Lehre) als Fälschungen und Fabrikationen späterer Zeiten erwiesen und für den verbliebenen Rest scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Auch mit astronomischen Argumenten (Daten von Sonnenfinsternissen, Daten in Sternenkatalogen) ist der Zeitkürzungsthese (297 Jahre) im frühen Mittelalter bisher nicht beizukommen gewesen. Im Gegenteil, die Anzahl der Tage, um die Papst Gregor 1582 den Kalender korrigierte (ungenaue Schalttagsregelung seit Julius Caesar), um den kalendarischen Frühlingsanfang mit dem astronomischen wieder in Einklang zu bringen (10 Tage statt der eigentlich zu erwartenden 13), spricht für ca. 300 Jahre zuviel in unserer Zeitrechnung. Dieser Zeitraum von ca. 300 Jahren zuviel in der christlichen Zeitrechnung (ob nun absichtlich geschehen oder unabsichtlich) ist auch in den Chronologien angrenzender Kulturen sichtbar. Typische Hinweise sind erfundene Geschichte, vervielfachte Herrscher, unnatürlich lange Regierungszeiten bei fehlender archäologischer Nachweisbarkeit.

Wenn man den archäologischen Funden Präferenz einräumt gegenüber Berichten, Urkunden und Erzählungen, dann ergibt sich eine wesentlich straffere Chronologie, deren Entwicklung und Rekonstruktion hier dargestellt werden soll.

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